: Stasi-Auflöser wurden umgangen
■ Arbeitsgruppe Sicherheit legt Rundem Tisch Bericht zur Auflösung der Stasi vor / Spitzelbehörde ist demontiert, aber ganze Abteilungen wurden vom Innenministerium übernommen
Ost-Berlin (taz) - Bei der Auflösung des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sind wesentliche Forderungen der Arbeitsgruppe Sicherheit am Runden Tisch „in unverantwortlicher Weise bewußt umgangen“ worden. Dieses Fazit zieht ein 26seitiger Bericht, den Werner Fischer (Neues Forum) gestern für die Arbeitsgruppe zur letzten Sitzung des Runden Tisches vorlegte. Entgegen den Vereinbarungen fanden danach 3.140 ehemalige Stasi-Leute beim Ministerium für Innere Angelegenheiten (MfIA) eine neue Stellung. 750 Mitarbeiter sollen für den Personenschutz, 130 für den Bereich „Antiterrorkräfte“ und 330 Mitarbeiter in Stellen des „zentralen Chiffrierorgans“ gewechselt haben. Weitere 720 Stasi-Spezialisten sollen künftig dem Auftrag „geheime Regierungsnachrichtenverbindungen“ im Ostberliner Innenmisterium nachkommen.
Am Beispiel des „Ingenieurbetriebs für wissenschaftlichen Gerätebau“ problematisiert die Arbeitsgruppe weiter die Neugründung von Betrieben mit dem Vermögen des früheren MfS. Durch Ministerratsbeschluß vom 13. Januar sei ein Betrieb unter dem Ministerium für Wissenschaft und Technik entstanden, in dem nach wie vor 1.500 ehemalige Stasi-Leute und die Mitarbeiter nachgeordneter Betriebe im alten Betätigungsfeld aktiv sind. In den Betrieb, der mit modernster westlicher Technologie ausgestattet und auf die Spionage- und Sicherungstechnik spezialisiert ist, wurden lediglich ein neuer Direktor und „zehn weitere Leitungskader“ berufen.
Wie in alten Zeiten verfügt die alte Firma mit neuem Namen über drei Hauptwerke, 16 „Erholungsobjekte“, ein eigenes Kinderferienlager und über eine noch unbekannte Anzahl von Wohngrundstücken. Empfehlungen einer unabhängigen Expertenkommission aus Mitgliedern der Akademie der Wissenschaft wurden von der neuen Betriebsleitung „weitgehend mißachtet“.
Die Auflösung des MfS und seiner Nachfolgebehörde „Amt für nationale Sicherheit“ (Nasi) ist weit fortgeschritten. Auf Bezirksebene sind mit über 38.000 Mitarbeitern etwa 96 Prozent und in der Stasi-Zentrale mit über 28.000 etwa 87 Prozent der Belegschaft des unheimlichen Dienstes entlassen worden. Seit dem 26. Februar, so die Arbeitsgruppe in ihrem Bericht, werden unter Aufsicht der Bürgerkomitees nun die elektronischen Datenträger, auf denen die Datensätze von sechs Millionen Personen gespeichert sind, gelöscht. Von den 50 Kilometern laufender Akten sind bisher 7,5 Kilometer im Gebäude des früheren Zentralarchivs eingelagert worden. Diese umfangreichen Arbeiten werden dem Bericht zufolge kaum vor August dieses Jahres abgeschlossen sein können. Mit dem Bericht wurde gestern auch eine geheime Verfügung des MfS vom 30.12.88 veröffentlicht, wonach die Leiter aller Diensteinheiten verpflichetet wurden, den 1988 gegründeten „Verband der Freidenker in der DDR“ zu infiltrieren. Der Verband wurde DDR-weit aufgrund eines Beschlusses des SED -Politbüros ins Leben gerufen. Er sollte die „politischen Auseinandersetzungen mit jeder Form des klerikalen Anti -Kommunismus führen“. Offenbar mißtraute man dem selbstgegründeten Verein von vornherein. Unter Federführung der Hauptabteilung XX sollten Vorstände und Gruppen „rechtzeitig mit operativen Mitteln“ durchdrungen und Maßnahmen zur „Verhinderung des politischen Mißbrauchs“ eingeleitet werden.
Wolfgang Gast
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