Gorbatschow beunruhigt

■ Bisher keine konkreten Maßnahmen gegen Litauen Gerassimow warnt vor Anerkennung des Landes

Moskau/Tallinn (afp/taz) - Die Sowjetunion hat einen Tag nach der Erklärung der Unabhängigkeit Litauens vor einer Anerkennung des Staates gewarnt. „Dies würde eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der UdSSR bedeuten“, erklärte Regierungssprecher Gerassimow. In seiner Eröffnungsrede zur dreitägigen Sondersitzung des Volksdeputiertenkongresses in Moskau zeigte sich Gorbatschow betroffen und schlug vor, den Nationalitätenrat des Obersten Sowjets und die Regierung mit der Untersuchung dieser Situation zu beauftragen. „Die getroffenen Entscheidungen berühren die lebenswichtigen Interessen und die Zukunft der Republik und die Gesamtheit des sowjetischen Staates“, erklärte er.

Schon vor der Entscheidung des litauischen Parlaments hatte die sowjetische Führung versucht, mit Entschädigungsforderungen und der Ankündigung von Weltmarktpreisen für Rohstoffe die Abgeordneten zu beeinflussen. Doch die Entscheidung in Vilnius fiel mit 124 Jastimmen und nur sechs Enthaltungen fast einstimmig für die Trennung von der Sowjetunion aus: Ab Montag gilt die sowjetische Verfassung nicht mehr. Schon diese Woche wollen auch die Esten Litauens Beispiel folgen, in Lettland und Georgien werden die Weichen ebenfalls auf Unabhängigkeit gestellt.

Noch zögern die meisten Regierungen, die Ereignisse in Litauen zu kommentieren. Im BRD-Außenministerium war keine Stellungnahme zu erhalten. Dagegen forderten die USA dazu auf, die Entscheidung der Litauer zu respektieren. Polen reagierte positiv, und die ungarische Regierung schloß eine diplomatische Anerkennung nicht aus.

Der Volksdeputiertenkongreß der Sowjetunion steht vor weiteren gravierenden Entscheidungen. So soll über die Einführung des Mehrparteiensystems abgestimmt werden. Schon heute wird über das Amt des Präsidenten und seine Vollmachten entschieden. Siehe Tagesthema Seiten 2 und 3

Siehe Kommentar Seite 10