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Die Hoffnungsträger besuchen Lazarus

■ Walter Momper und Hans-Jochen Vogel erscheinen zum SPD-Wahlkampf am Prenzlauer Berg in Ost-Berlin

Die Hoffnungsträger saßen unterm Heiland, der seine Hand in den Himmel streckt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, heißt es über dem Altar der an der Prenzlauer Allee gelegenen Immanuel-Kirche. Zwei Weise aus dem Abendland waren gekommen, frohe Botschaft unters Volk zu streuen: Euch wird am Sonntag das Parlament gewählt, dann wird's ein bißchen apokalyptisch, dann kommt das Paradies.

Hans Jochen Vogel wurde seinem Ruf gerecht und kam fünf Minuten zu früh. Das Volk erhob sich von den harten Kirchenbänken und applaudierte dem Mann, den es bisher nur aus dem Fernsehen kannte. „Er isses wirklich!“ wurde getuschelt, doch dann verschwand der gute Mensch aus Bonn am Rhein gleich wieder in einen Kanal: „Sie hätten das Interview gerne auf Englisch? Bitte sehr!“ Der zweite donnernde Applaus gilt Walter Momper. Die Kameramänner, Fotografen und Hobbyfilmer treten sich vor der Kanzel die Füße platt. Vor einem Jahr war das noch anders. Da waren Ost -Berlins Kirchen auch prall gefüllt: Es gab aber keine Kameras, die durften nicht, es gab keinen Momper und Vogel; die wollten nicht, und kalt war's meistens auch: entweder war die Heizung kaputt oder der Strom gesperrt.

Das Eingangsstatement kommt von der Prominenz, die immer noch kaum einer kennt: Anne-Kathrin Pauk (23), Chefin der Ostberliner SPD, plädiert für ein „leises, bedächtiges Wort„; schließlich tobe draußen im Lande die Schlammschlacht, und in einer Kirche sei man ja auch. „Wir sind an einem Punkt, wo wir sagen müssen, was wir wollen.“ Der große Gegner SED, der das Volk zusammenschweißte, sei nun hin. Was nu? Da gebe es viel Arbeit nach dem 18. März.

Momper sagt den Prenzlauern, daß „sie jetzt ihre Interessen in die eigene Hand nehmen müssen“. Was das für Interessen sein könnten, sagt er natürlich auch. Wenn die Stützung der Konsumgüter wegfalle, dann müsse aber mindestens die doppelte Rente her! Die Rentner nicken bedächtig. Ein Claqueur klatscht in die Hände. Das Volk stimmt ein. Und die Sparguthaben, die müßten bei der Währungsunion im Verhältnis 1:1 getauscht werden. „Das haben sich die alten Leute doch in den schwierigen sechziger und siebziger Jahren vom Munde abgespart!“ tönt Momper empört. Eine alte Frau seufzt, ein alter Mann stöhnt sein „Ja ja. So war's.“ Der Claqueur waltet seines Amtes. Dann ist Herr Vogel dran. Auch der weiß, wo der Barthel den Most holt. Denn im Kirchenschiff sitzt einer, der schon Geschichte ist: „Kurt Exner, Jahrgang 1901, von 1946 bis 1948 sozialdemokratischer Bürgermeister vom Prenzlauer Berg“, preist Vogel den Genossen. Daß der das alles noch erleben darf und man dabei ist. Das Publikum ist gerührt. Herr Exner lächelt. Man braucht nun keinen Claqueur.

Nun ist die Bevölkerung dran. Einer will wissen, warum sich Ibrahim Böhme in einem Interview gegen das Aussperrungsverbot und die Verankerung des Rechts auf Arbeit ausgesprochen habe. Die Frage möchte er gefälligst von den „Ost-Sozialdemokraten beantwortet haben, die alleine offenbar keinen Wahlkampf machen können“. Die Antworten fallen mager aus. Einer meint, man könne der SPD in Sachen Gewerkschaften schon ruhig vertrauen. Das stellt das Auditorium, das in der Vergangenheit genügend Blancoschecks verteilt hat, nicht zufrieden. Es wird gepfiffen und gebuht. Frau Pauk, über Böhmes Äußerungen offensichtlich genauso erstaunt wie mancher Zuhörer, rettet die Situation: Das Aussperrungsverbot sei eins von den Dingen, das man im Falle einer Vereinigung durchaus mitnehmen könnte. Ein anderer will wissen, wie er im Privatisierungsfalle seinen Anteil am volkseigenen Vermögen ausbezahlt bekommt. Die Politiker sind verdutzt: Ach richtig, hier war ja Sozialismus. Wie der Mann an sein VEB-Geld kommt, kann ihm keiner sagen.

Viele möchten „schon gern SPD wählen. Aber nicht, wenn ihr mit der Allianz koaliert.“ Das auszuschließen, sind die Sozialdemokraten nicht bereit. „Wir haben die Revolution nicht alleine gemacht!“ kommt als Antwort. Dann geht der „Oberlehrer“ noch mal nach vorn und gibt abschließenden Geschichtsunterricht: Keine Revolution ohne Ungarn. Kein Ungarn ohne Gorbatschow. Kein Gorbatschow ohne Helsinki. Kein Helsinki ohne Willi Brandt. Willis Enkel heißt hier Ibrahim. Machen Sie das Kreuz an der richtigen Stelle.

Anschließend hocken Ost- und West-Sozis noch in einer Kneipe mit ausnahmsweise glücklichen Kellnern. Kaum durch die Tür, bekommt die West-Prominenz ihr Bier. Ein junger Kerl hat es ausgegeben, „ein Prosit auf die SPD“. Die Ost -Sozialdemokraten müssen wohl noch öfters in Fernsehen, bis ihnen ähnliches passiert.

Die Hoffnungsträger saßen unterm Heiland. Da hing über dem Altar der Spruch: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“. Der ist aus dem Johannesevangelium: Die Geschichte, wo Jesus den toten Lazarus wieder zum Leben erweckt. Der zweite Teil des Spruches stand da freilich nicht: „Wer an mich glaubt, wird leben, selbst wenn er stirbt. Glaubst Du das?„

CC Malzahn

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