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Wie Schaschlik auf dem Spieß der Pietät

■ Peter Weiss‘ „Die Ermittlung“ in Frankfurt und Ost-Berlin

Auf dem Frankfurter Peter-Weiss-Kongreß im vergangenen Januar hieß es: Die „Ästhetik des Widerstands“ sei zu studieren. Auf ästhetisierten Widerstand läuft es hinaus: Im Fall der Bühnenlesung der Ermittlung von Peter Weiss wurde aus Auschwitz ein ästhetischer Gegenstand. Ein schöner Gegenstand, urteilte die Lokalpresse, ein adrett hingeworfenes Gewand der Vergangenheits-„Bewältigung“ für die neue deutsch-deutsche Geschichtsschreibung. Es spielten Schauspieler aus Ost und West.

Ort der Frankfurter Veranstaltung (nebst einem Abstecher in Ostberlin) war das Haus Gallus. Hier fanden vom 3.April 1964 bis August 1965 Auschwitz-Prozesse statt. Diese überlieferte der Zeuge Peter Weiss in elf Gesängen a drei Teilen. Einige trug man vor in einer Art Turnsaal mit Bühne bei wohlweislich geschlossenem Vorhang. Davor eine Reihe Schauspieler, denen der Text lediglich bekannt vorkam.

Ein verunglückter Leseeifer ist kein Stimmbruch. Auch bei bekannten Schauspielern aus Ost und West nicht (Giskes, Sander, Hübner, Mellies). Pubertär ist die Präsentation von Auschwitz vermittels der von Burkhardt Lindner gekürzten Version des Weissschen Textes und der Einfalt des Ex-TAT -Intendanten Peter Hahn als Regisseur. Ort der Handlung ist die Bühne. Sie überragt leicht den Ort, den die Lesung meinen soll: den Gerichtsort, an dem die Sache Mulka und andere vor 25 Jahren verhandelt wurden. Hier sitzt man, aber nicht zu Gericht. Der Sechziger-Mief des Bürgerhauses buhlt um die Vorstellung, wie es hier während des Auschwitz -Prozesses gerochen haben mag. Wie es geschwitzt hat, das Quartett aus Zeugen, Angeklagten, Richtern und Verteidigern. Die Schauspieler sitzen in einer Reihe wie Schaschlik auf dem Spieß der Pietät. Sie geben sich alle Mühe, verhalten zu sein. Den Prozeß spürt man nicht, an ihn erinnert nichts, es kam freilich schlimmer. Was Weiss in der Ermittlung dokumentiert, die Leugnung von Schuld bei gleichzeitiger Enttarnung der nutznießenden Rolle der Industrie an der Judenvernichtung, davon bleibt in Lindners Textfassung kaum etwas. In Hahns Inszenierung wird aus den Angeklagten eine verstockte Clique, die trotzig entziffert: „Lüge, alles Lüge“. Was gelogen? In gewissem Sinne das, was Burkhardt Lindner an Weiss‘ Text stehenließ: die Vorstellung, wie es in Auschwitz ausgesehen haben mag. Wir senken die Augen, nicht aus Scham, sondern um dem Hörspiel besser folgen zu können. Es begleitet die Vorstellung über die Rampe der ankommenden Judentransporte, dann durchs Lager, in die Baracken, in die Gaskammer und durch sie hindurch ins Krematorium. Was man nicht so alles überlebt.

Es gab vor Peter Weiss ein paar Theaterstücke, schwächer als Die Ermittlung, weil eben diese Vorstellung, wie es in Auschwitz aussah, ihr alleiniges Thema war. Hedda Zinners Ravensbrücker Ballade, Rolf Hochhuths Stellvertreter, der im fünften Akt eine Vergasungsanlage ins Spiel bringt, Rolf Honolds ... und morgen die ganze Welt, Millard Lampells Die Mauer, Thomas Ch. Harlands Ich selbst und kein Engel: Problematisch, weil die Todesmaschinerie nichts über das Zustandekommen der Maschine weiß. Das gelang Peter Weiss, das mißlang umso gründlicher Burkhardt Lindner und Peter Hahn.

Arnd Wesemann

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