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Einmal Recht für Kohlhaas

■ Verwaltungsgericht Bremen seutet an: Fraktionsloser Grützner darf in Bremerhavener Stadtverordnetenauschüsse

„Wenn Herr Grützner die Rechte bekommt, die sie ausgeführt haben, dann kommt doch morgen die DVU und will sie auch!“. Auch wenn der Prozeßbevollmächtigte der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung (StVV), Ulrich Freitag, darin recht hat, die drei Richter des Bremer Verwaltungsgerichtes sahen nicht so aus, als entschieden sie so, daß einer kein Recht kriegt, damit es vielleicht unliebsame andere auch nicht kriegen. Zu entscheiden haben sie, ob Horst Grützner, Mitglied der Stadtverordnetenversammlung (StVV) in Bremerhaven, auch Mitglied in ihren Auschüssen sein darf.

Warum? Im Bau-, im Kultur-und im Wohnungsförderungsausschuß hatte der Architekt und Kulturcafegründer mitgearbeitet, bis er sich mit seiner Partei, den Grünen, über Kreuz legte und aus der Fraktion ausgeschlossen wurde. Daß aber ein Fraktionsloser nicht automatisch auch ein Ausschußloser sein muß, hatte am 13. Juni 1989 das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Bis zu dem hatte der schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete Wüppesahl sein Recht durchgefochten, nachdem ihn seine Fraktion ausgeschlossen hatte. Die Höchstinstanzlichen hatten das Recht der ParlamentarierInnen auch jenseits der Parteiapparate verteidigt und den Einzelabgeordneten Rede-und Antragsrecht in Ausschüssen zugebilligt. Jeder Ausschuß müsse grundsätzlich „ein verkleinertes Abbild des Plenums sein“.

Postwendend hatte Grützner beim Vorsteher der StVV Alfons Tallert, Gleiches geltend gemacht. Erst, so Grützners Anwalt Suhr gestern vor Gericht, habe der das Urteil nicht gekannt, dann nicht für übertragbar gehalten, um schließlich vor Gericht seinen Prozeßvertreter die Funktionsfähigkeit der StVV bedroht sehen zu lassen: Wenn die kleinen Fraktionen alle plenumswiderspiegelnd vertreten sein sollten, seien deren Vertreter überfordert.

Die SPD in Bremerhaven, seit 36 Jahren an der Macht, vergesse, sagte Grützner, daß auch die Opposition „das Volk“ sei. Das Urteil ergeht noch schriftlich, aber: Die Anwesenheit in zwei Ausschüssen hält der Vorsitzende Richter Hülle für rechtmäßig und zwar - mit Stimmrecht! Das wird nicht nur die DVU freuen. Es wird die Sozialdemokraten ärgern, denn es würde sie in den Ausschüssen die sichere Mehrheit kosten. Denn von den nach Bremerhavener Stadtverfassung maximal 9 Sitzen fallen bis jetzt 4 an die Minderheiten (CDU 2, FDP 1, Grüne 1) und 5 an die SPD. Den zusätzlichen Sitz für den fraktionslosen Grützner müßte also wahrscheinlich die SPD hergeben. Daß sie das berufungslos tun wird, ist nicht anzunehmen.

Uta Stolle

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