: Simulation der Welt
■ Interview mit dem kanadische Experten Robi Roncarelli, der während des Stuttgarter Trickfilmfestivals an Hand von Filmbeispielen über die Geschichte und den neuesten Stand der Computertrickfilme in den USA, Kanada und Japan berichten wird
Michael Fischer
taz: Wie macht man mit Computern Filme?
Robi Roncarelli: Der technische Ablauf ist ziemlich einfach. Ursprünglich kopierte man einfach die traditionelle Art, Zeichentrickfilme zu produzieren. Man ließ den Computer ein Bild zeichnen und speicherte es. Danach kam das nächste Bild dran. Man benutzte den Computer, um die Bilder zu zeichnen, sie zu colorieren und zu verändern. Ausgangs- und Endpunkt einer Szene waren handgezeichnete Bilder, die der Computer kopierte und daraus dann die dazwischenliegenden Phasen berechnete. Damit ließ sich beispielsweise die Bewegung einer Figur im Bild viel einfacher zeichnen.
Der Computer arbeitet aber normalerweise mit geometrischen Figuren und einfachen Linien?
Ja, am Anfang war das ein großes Problem. Inzwischen ist es jedoch dank wesentlich gesteigerter Rechenkapazitäten und verbesserter Software möglich, auch kompliziertere Figuren zu zeichnen. Die menschliche Gestalt ist jedoch nach wie vor zu vielfältig. Die Hautfarbe, die wechselnden Gesichtausdrücke, die Anzahl der Haare, die Augenlider - das sind zuviele Informationen für einen Computer. Deswegen muß man es vereinfachen. Aber auch für vereinfachte Gestalten braucht es ungeheure Rechenkapazitäten. Das ist vielfach zu teuer. Deswegen kombiniert man heute gerne die Computermethode mit der traditionellen Art, Trickfilme zu zeichnen. Man läßt den Computer den Hintergrund machen, vor dem die handgezeichneten Figuren mit einer Spezialkamera bewegt werden. Beliebt ist auch, die Zeichentrickmethode mit richtigen Filmsequenzen zu kombinieren. Die besten Resultate wurden erzielt, als die Filmemacher mit allen Methoden arbeiteten. Bob Abel hat auf diese Weise einen hervorragenden Werbefilm gemacht, den ich bei meiner Vorstellung zeige.
Auch bei diesen Filmen geht man jedoch nach der alten Methode vor, Bild für Bild zu speichern. Mit den neueren Computerprogrammen ist es jetzt auch möglich, ganze Sequenzen - also die Bewegung - auf Video zu speichern. Das hat den Vorteil, daß man den Film elektronisch mixen kann, funktioniert aber nur bei Videofilmen. Andererseits hat es den Vorteil, daß man es mit einem Personal Computer mit großer Speicherkapazität zu Hause machen kann. Für richtige Filme kann man diese Methode jedoch nicht anwenden.
Ist nicht neben der Werbebranche das Militär Hauptanwender der neuen Technologie, mit Computern Trickfilme zu produzieren, beispielsweise für Flugsimulationen?
Ja, sie verwenden im Prinzip die selbe Methode. Die Militärs arbeiten mit Infrarot- oder Radaraufnahmen von Satelliten. Mit diesen Informationen sind sie in der Lage, das Terrain einer bestimmten Gegend auf der Erde oder auch auf dem Mars filmisch nachzuzeichnen. Und dank ihrer Supercomputer können sie sich dann innerhalb des Terrains in eine x-beliebige Position manövrieren und von dort aus einen Rundblick simulieren. Das ist wirklich erstaunlich. Dieses Verfahren wird zum Beispiel in Panzern zur Aufklärung benutzt, weil der Panzerkommandant damit plötzlich um die Ecke oder über den nächsten Hügel gucken kann. Bei den Piloten ist die Simulationsanlage im Helm untergebracht. Wenn sie den Kopf bewegen, verändert sich entsprechend das Bild. Zwar ist die Qualität der Bilder nicht besonders gut, aber es reicht, um zu wissen: Da ist ein Baum, da ein Haus, da ein anderes Flugzeug. Diese Simulationstechnik wird inzwischen auch auf Supertankern eingesetzt.
Im Durchschnitt sitzen US-Amerikaner etwa sieben Stunden vor der Mattscheibe. Noch sehen sie aber Natur, Menschen, sind noch nicht völlig der Wirklichkeit entfremdet. Bald wird es jedoch möglich sein, Filme zu drehen ohne Schauspieler, ohne wirkliche Dinge. Dann sind Filmemacher bei der Produktion künstlicher Welten nur noch von ihrer eigenen Phantasie und der Leistungskraft ihrer Computer begrenzt. Was wird aus der Phantasie dieser Menschen, aus ihrer Fähigkeit, eigene Welten im Kopf entstehen zu lassen?
Manche Leute phantasieren einfach besser als andere. Deswegen sind sie Filmregisseure und nicht Rennfahrer oder etwas anderes. Und schon heute kann man sich mit einem Knopfdruck auf eine ferne Insel zaubern, ohne die eigenen vier Wänder zu verlassen. Das Bild entsteht auf einem als Fenster getarnten großen Bildschirm; die dazu passenden Geräusche produziert die Stereoanlage, und die Südseebrise macht der Ventilator. Und natürlich gibt es Versuche, verstorbene Filmgrößen wie Marilyn Monroe oder Humphrey Bogart wiederauferstehen zu lassen. Aber unglücklicherweise können wir noch nicht ihr Mienenspiel reproduzieren, es wirkt einfach hölzern.
Auch in der Autoindustrie verwendet man Simulationsprogramme, um kostenaufwendige Lehmmodelle zu ersetzen. Selbst mit dreidimensionalen Bilder wird schon gearbeitet. Mit der Holographie soll es sogar bald möglich sein, daß sich der Designer hinter das Lenkrad seines imaginären Autos setzt, um ein Gefühl für die Ergonomie seines Produkts zu bekommen, bevor es überhaupt existiert. Die Spielzeugindustrie will sich diese Methode zunutze machen, um Spielzeuge an Kindern auszuprobieren, ohne sie vorher produziert zu haben. Es soll sogar bald möglich sein, das imaginäre Produkt von einem Laserstrahl abtasten und seine Form direkt auf eine Plastikmasse übertragen zu lassen. Das ist verrückt, nicht wahr? Aber ich habe keine Angst davor. Damals, als das Fernsehen erfunden wurde, sagten die Leute auch, es wird bald keine Bücher mehr geben. Das Gegenteil ist der Fall. Und so geht es auch mit den Computerzeichentrickfilmen. Natürlich wird die Technik auch mißbraucht werden, zum Beispiel, um Gefühle zu manipulieren. Aber das passiert mit allen Erfindungen - auch mit Autos. Die positiven Effekte überwiegen für mich aber allemal: Die neue Technik ist überaus unterhaltsam, und sie eröffnet weitreichende erzieherische Möglichkeiten beispielsweise in der Wissenschaft oder bei der Managementschulung. Mit Statistiken, die sich bewegen, die lebendig sind, erreicht man viel besserer Lerneffekte. Das wichtigste Plus der Computertrickfilme sind allerdings ihre kommunikativen Möglichkeiten über die Sprachgrenzen hinweg. Ich brauche kein Künstler zu sein, um mit von einem Computer produzierten Bildern kommunizieren zu können - wie die ersten Höhlenmenschen.
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