: Der Aufstand der Bürgermeister auf der Alb
Die Suche nach einem Standort für einen weiteren Giftmüllofen bringt einen ganzen Landesteil auf die Palme / Ein heimlicher Bote aus Stuttgart und seine verheerenden Folgen / Auch wohlbekannte CDUler haben sich in die Koalition der Giftmüllgegner eingereiht ■ Aus Stuttgart Erwin Single
Seit Baden-Württembergs Müllminister Erwin Vetter vor einem Monat drei alternative Standorte für einen zweiten Giftmüllofen im Südweststaat verkündete, kocht die Volksseele in der schwäbischen Provinz.
Aus allen Ecken und Enden der Ostalb strömten am Sonntag 20.000 aufgebrachte BürgerInnen bei strömendem Regen in dem Städtchen Aalen zusammen, um in einer Phalanx der GiftmüllgegnerInnen der Stuttgarter Landesregierung den Kampf anzusagen.
Im Goldshöfer Wald, zwischen Aalen und Ellwangen, liegt einer der Standorte für die geplante Giftmüllverbrennungsanlage, die die Essener Ingenieursfirma „Deutsche Projekt Union“ (DPU) in ihrem vom Umweltministerium angeforderten Gutachten vorgeschlagen hat: Hüttlingen. Daneben wählte die Ingenieursfirma aus 924 Gebieten noch das hohenlohische Kupferzell und die Gemeinde Dagersheim bei Böblingen als Standorte für den 400 Millionen Mark teuren Ofen für Giftmüll aus.
Die Nachricht schlug in den genannten Orten wie die berühmte Bombe ein. Aktionsgemeinschaften und Bürgerinitiativen formierten sich über Nacht. Doch an ihre Spitze stellten sich diesmal nicht nur Grüne und Umweltschützer, sondern eine empörte CDU-Basis, die sich von ihren Parteifreunden in Stuttgart kräftig verarscht fühlte. Die Standortsuche war nämlich ohne das Wissen der Betroffenen angerollt; selbst Gemeinden und Kreise waren nicht eingeweiht.
Ein Bote aus Stuttgart hatte die brisanten Standortvorschläge in den Vorzimmern der Bürgermeisterämter abgegeben und sich schnell wieder weggeschlichen. Solch ein Vorgehen sei „ein Verfahren wie in der DDR“, „keine Demokratie, sondern Diktatur“, eine „bodenlose Frechheit“ halt schlichtweg eine „Sauerei“, meuterten die Bürgermeister.
Zu den Erbosten zählen auch wohlbekannte Gesichter. Im Ostalbkreis ziehen der CDU-Bundestagskandidat Brunnhuber, Landrat Winter und der Stuttgarter Staatssekretär Wabro mit am Protestkarren. Aus dem Hohenlohekreis melden die CDU -Abgeordneten Keitel und Österreicher Widerspruch an. Einer hat sogar schon bei Landesvater Späth persönlich interveniert: der aus dem Amt des Bundestagspräsidenten gefegte Noch-Bundestagsabgeordnete Philipp Jenninger.
Besonders unter Beschuß steht Müllminister Vetter. Der hatte frech erklärt, ihn werde nichts und niemanden aufhalten. Um bis Mitte der 90er Jahre von Giftmüllexporten in die DDR, nach Frankreich und Belgien unabhängig zu werden, soll auf jeden Fall neben Kehl ein zweiter Giftmüllofen gebaut werden. 300.000 Tonnen Giftabfälle wurden allein vergangenes Jahr ins Ausland verschickt - das meiste davon sind Produktionsabfälle baden-württembergischer Firmen.
Vetter mußte sich mehrfach vorhalten lassen, „Erfüllungsgehilfe der Giftindustrie“ zu sein. Jetzt verteidigt er seine Pläne für eine neue Verbrennungsanlage: Angesichts der Müll-Exporte sei es nicht zu fassen, daß sofort St.Florian triumphiere.
Der Dreck soll dort entsorgt werden, wo er entsteht, wird dagegen auf der Ostalb argumentiert. Und zwei Drittel des Giftmülls kommen nun mal aus den Ballungsgebieten im mittleren Neckarraum. Doch gegen den dortigen Entsorgungsstandort Dagersheim am Autobahnkreuz Böblingen haben schon ganz andere protestiert: Der Autokonzern Mercedes-Benz erhob „allerschäfsten Einspruch“ gegen eine mögliche Anlage in der Nähe ihres Sindelfinger Werksgeländes. Und bei IBM in Böblingen ist man besorgt, durch die Luftverschmutzung der Giftöfen könnte die Chip -Produktion beeinträchtigt werden. Für den Hüttlinger Bürger Wilhelm Hammer ist seitdem klar: Menschen auf dem Land haben weniger Wert als Microchips.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen