: Müllverbrennung leicht gemacht
■ Regierung beschließt, daß Sondermüll künftig auch in Hochöfen und Zementfabriken verbrannt werden darf / SPD nimmt's hin
Bonn (taz) - Angesichts des drohenden Sondermüllnotstands die Seeverbrennung ist beendet, der Mülltourismus in die DDR und die dritte Welt wird eingeschränkt - entwickelt die Bundesregierung einen ungeahnten Ideenreichtum: Künftig darf Müll nicht nur in speziell dafür gebauten Müllverbrennungsanlagen, sondern auch in Kohlekraftwerken, in Kupferhütten, Zementfabriken oder in Hochöfen der Stahlindustrie verbrannt werden. Bei den Müllverbrennungsanlagen wird seit Jahren erbittert um Grenzwerte für Giftstoffe wie Dioxine oder Furane gestritten. Diese Werte sollen nun für die Behelfsanlagen gar nicht gelten, sondern nur die deutlich schlechteren des Bundesimmissionsschutzgesetzes.
Eingebracht haben die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP die Ergänzung im „Hauruck-Verfahren“ (Bundestagsabgeordneter Jochen Brauer/Grüne) erst in letzter Minute in der vergangenen Woche - wohl wissend, daß bis zur Verabschiedung des novellierten Immissionschutzgesetzes gestern im Bundestag sich Widerstand kaum organisieren könne. Die „Verwertung und Behandlung von Abfällen“ ist „in Anlagen zulässig, die überwiegend einem anderen Zweck als der Abfallentsorgung dienen“, heißt es dreist in der „Nachbesserung“ des Gesetzeswerks.
Damit kapituliere die Bundesregierung vor der „Wegwerfgesellschaft“, urteilen die Grünen. Sie prophezeien, daß damit die „Anarchie auf dem Markt giftiger Abfälle“ ausbrechen werde. Schließlich sei es für eine Zementfabrik allemal lukrativer, Sondermüll zu verbrennen, als Zement herzustellen. „Nicht mehr Vermeidung, Verminderung und stoffliche Verwertung von Müll sind damit das Ziel einer vorausschauenden Abfallpolitik, sondern das bedingungslose Ex und Hopp“, schimpfen die Grünen.
Auch die Umweltorganisationen wie der BUND sprechen von einer „doppelten Schweinerei“. Schließlich hatte Umweltminister Töpfer (CDU) noch kürzlich versprochen, in Müllverbrennungsanlagen die Grenzwerte für Dioxine drastisch herabzusetzen. Statt dessen werde nun das ganze Abfallgesetz „ausgehebelt“, meint der grüne Abgeordnete Brauer.
Die Grünen sind offenbar einzige Opposition beim Coup der Regierungsfraktion. Genüßlich wird im Regierungslager darauf verwiesen, daß die Anregung vom nordrheinwestfälischen Umweltminister Mathiesen (SPD) gekommen sei. Im Umweltausschuß des Bundestages waren die Sozis ganz geschickt: Ein Teil der anwesenden Abgeordneten beteiligte sich nicht an der Abstimmung.
gn
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