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„Die Geheimdienstmentalität gehört auf den Prüfstand“

■ Interview mit Lothar Jachmann, Vorstandsmitglied der in der ÖTV organisierten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und stellvertretender Leiter des Bremer Landesamtes, über Perpektiven des VS angesichts der Veränderungen in der DDR / „Mit einem Vertrauensvorschuß das Amt neu strukturieren“

taz: Herr Jachmann, wie wollen, wie sollen die Landesämter für Verfassungschutz und das entsprechende Bundesamt auf die grundlegenden politischen Veränderungen in der DDR und in Osteuropa insgesamt reagieren? Sie haben kürzlich mit Ihren in der ÖTV organisierten Kollegen die Veränderung der „Bedrohungslage“ diskutiert. Welche Vorschläge machen Sie?

Lothar Jachmann: Da herrscht in den einzelnen Verfassungsschutzämtern eine große Unsicherheit: Was kommt auf uns zu, wie müssen wir darauf reagieren? Auf der Tagung im Februar in Berlin, wurde das sehr deutlich. Die ÖTV -Vertreter aus den Landesämtern und auch aus dem Bundesamt, je nachdem, in welchem Bereich sie fachlich integriert sind, haben die zukünftige Perpektive sehr unterschiedlich beurteilt.

An einer Grundbefindlichkeit kann allerdings niemand vorbei: diese Entwicklung muß auch für die Verfassungsschutzbehörden Auswirkungen haben. Das gilt für ihre Ausrichtung und natürlich auch für die personelle Strukturierung. Eines hat sich ja wohl jedem mitgeteilt: Der Wegfall - oder jedenfalls weitgehende Wegfall - der DKP, die ja bisher einen nicht unwesentlichen Teil auch der Arbeit in Anspruch genommen hat, wird personelle Auswirkungen haben müssen. Da mag sich nun das eine oder andere Amt damit behelfen zu sagen, im Moment wächst uns auf dem rechtsextremistischen Sektor ein neues Aufgabenfeld zu, also die „Republikaner“. Aber trotzdem ist doch wohl klar, daß man den Verlust der DKP damit nicht so schlankweg kompensieren kann.

Im Moment besteht sicher noch die Tendenz, erst einmal zu versuchen, um schmerzhafte personelle Einschnitte herumzukommen. Das ist bei allen Bürokratien so. Dem Verlust eines so starken extremistischer Bereichs, als den wir die DKP zu Recht immer eingeschätzt haben, kann man auf Dauer allerdings nicht mit einigen kosmetischen Veränderungen begegnen. Zumal ja auch neue Entwicklungen in anderen Bereichen ihren Schatten vorauswerfen, wenn ich zum Beispiel an die Spionageabwehr denke.

Egal welche Einschätzungen man gegenüber der DDR haben mag, die Spionage von dort und aus den anderen osteuropäischen Ländern wird bei dem Wegfall des Ost-West-Gegensatzes nicht so weitergehen wie bisher. Der Verfassungsschutz kann nicht mutig durch den Fluß schreiten, wenn überall Brücken gebaut werden.

Sie haben in Bremen jetzt angefangen, Konsequenzen zu ziehen - ein Drittel des Personals soll abgebaut werden. Wie haben die anderen Landesämter darauf reagiert? Gibt es vergleichbare Ansätze, oder haben Sie sich viel Kritik eingehandelt?

Mir sind die einzelnen Reaktionen nicht dezidiert bekannt, aber eines ist klar: Bremen hat einen sehr mutigen Schritt getan. Es geziemt einem Nachrichtendienst ja auch, prognostisch sauber nach vorn zu gehen und nicht ständig nachzukarten. Insofern ist dies ein Schritt, der den Niedergang der DKP berücksichtigt und außerdem den vorhersehbaren Rückgang der Spionage gegen die Bundesrepublik antizipiert. Wir wollen hier nicht alle Vierteljahre eine neue Bestandsaufnahme machen, sondern mit einem gewissen Vertrauensvorschuß das Amt neu strukturieren. Inwieweit man uns da folgt, kann ich noch nicht sagen. Bremen hatte ja schon einmal eine Vorreiterrolle übernommen, als es um die Ausgestaltung eines bereichsspezifischen Datenschutzes und restriktive Übermittlungsregelungen ging, und hat sich damals viel Schelte zugezogen. Im Rückblick hat sich unsere damalige Position als richtig herausgestellt. Ich würde mir wünschen, daß der Verfassungsschutz insgesamt sich zu so einem Schritt nach vorn versteht.

Die bisherigen öffentlichen Äußerungen Ihrer Kollegen gehen ja in eine andere Richtung.

Das Festhalten am Status quo ist natürlich nicht sehr glaubwürdig. Bei einer internen Umschichtung, zum Beispiel Verstärkung der Überwachung des Rechtsextremismus, tut man ja so, als gebe es in diesen Bereichen große Defizite. Die sind aber bislang immer bestritten worden. Deshalb kann man jetzt nicht so tun, als ginge die Arbeit da erst richtig los. Das hat doch einen etwas peinlichen Beigeschmack.

Halten denn zumindestens Ihre ÖTV-Kollegen aus den anderen Landesämtern und dem Bundesamt eine Reduzierung für richtig?

Mein Eindruck bei unserer Tagung war, daß das von den ÖTV -Repräsentanten ähnlich gesehen wird. Die Bedingungen in den Ämtern sind aber unterschiedlich. Deshalb braucht es noch Zeit, um die Ent

müssen die Geheimen an neuen Bedrohungsanalysen basteln / Da wird die Gefahr von rechts ganz neu bewertet / Finden Ex-Stasi-Offiziere beim VS Unterschlupf?

wicklung richtig einzuschätzen. Man sieht zwar, daß es Folgen geben muß, aber man ist sich noch nicht im klaren, wie man das aufgrund der unterschiedlichen Begebenheiten in den einzelnen Landesämtern umsetzen soll.

Die bundesdeutschen Geheimdienste haben bisher im wesentlichen von der Blockkonfrontation gelebt. 40 Jahre kalter Krieg waren 40 Jahre, in denen die bundesdeutschen Dienste ihre Identität aus dieser Konfrontation bezogen haben. Mit welcher Philosophie will der Geheimdienst nach dem Verlust des Gegners eigentlich noch arbeiten?

Wir sind tatsächlich jetzt in einer Situation, in der die gesamte Geheimdienstmentalität auf den Prüfstand gehört. Trotz aller Unvergleichbarkeit zwischen Geheimdienst hier und Staatssicherheit drüben muß man ja wohl davon ausgehen, daß es in der DDR-Bevölkerung eine generelle tiefgreifende Abneigung gegen jeden Nachrichtendienst gibt - auch wenn dieser wie bei uns auf rechtsstaatlicher Basis arbeitet. Wir haben als Ötv-Gruppe vor zwei Jahren Thesen zur Entmythologisierung des Verfassungsschutzes vorgelegt mit dem Ziel, den Geheimdienst-Bart weitgehend abzuschneiden.

Ohne daß wir auch nur annähernd eine Entwicklung, wie sie nun eingetreten ist, ahnen konnten, denke ich, daß diese Thesen nun eine gute Plattform für neue Überlegungen darstellen. Also Fragen zu thematisieren, wie: Welches Maß an Überwachung braucht welche Gesellschaft? Wie kommen wir weg von der personenorientierten Sammelei? Wie verändert man einen Geheimdienst so, daß er zu einem Nachrichtendienst wird, der nicht einem statistischen Beharrungsvermögen frönt, sondern sich dynamisch zu gesellschaftlichen Entwicklungen verhält. Diese Fragen haben jetzt eine ganz neue Aktualität gewonnen und bieten ein Gerüst, um weitere Überlegungen anzustellen.

Ist nicht das nun in der parlamentarischen Beratung befindliche neue Verfassungsschutzgesetz völlig obsolet?

Vielleicht nicht völlig obsolet. Aber man kann ein solches Gesetz jetzt sicher nicht unbesehen auf ein zukünftiges vereintes Deutschland übertragen wollen. Nach den letzten Koalitionsabsprachen soll das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, wenn die Erfahrungen, Bedenken und Impulse einer neuen DDR-Regierung in Fragen eines Verfassungsschutzgesetzes berücksichtigt würden. Schon deshalb hielte ich es nicht für einen glücklichen Zug, wenn man jetzt vorher noch dieses Gesetz verabschieden würde.

Einmal unterstellt, es wird demnächst eine neue Verfassungsgebende Versammlung geben - damit stünde doch der Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form völlig zur Disposition.

Es wird ja eine Übergangszeit geben - aber die Frage ist, ob in einer neuen Verfassung der institutionelle Verfassungsschutz wieder den Stellenwert bekommt, den er im Grundgesetz hat. Das kann jetzt niemand sagen. Ich kann nur für die in der Ötv organisierten Verfassungsschützer sagen, wir halten einen getrennt von der Polizei operierenden Nachrichtendienst als Frühwarnsystem gegenüber extremistischen Bestrebungen für eine bewährte Institution und sind deshalb dafür, daß sie beibehalten wird. Das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei darf nicht aufgehoben werden. Das heißt nicht, daß die Ausgestaltung eines neuen Verfassungsschutzes so sein müßte, wie es jetzt der Fall ist.

Wäre nicht eine mögliche Konsequenz, einen Nachrichtendienst - wenn überhaupt - nur noch auf Länderebene ohne zentralistische Zusammenfassung anzusiedeln?

Das ist schwer vorstellbar. Föderalismus hat unbestreitbar viele Vorteile, aber auch Nachteile. Es gibt doch länderübergreifende gemeinsame Ziele und Objekte, gegenüber denen man zu einheitlichen Verfahren kommen muß.

Das ist aber doch auch jetzt schon nicht immer der Fall.

Sie haben recht, es gibt auch jetzt unter den verschiedenen Ämtern nicht immer einen Konsens. Bestes Beispiel ist die Einschätzung der „Republikaner“, wo die Differenzen besonders deutlich geworden sind. Der Grundgedanke der regionalen Aufteilung ist ja auch richtig, weil sich verschiedene Gruppen regional unterschiedlich darstellen. Insofern wäre eine zentrale Behörde sicher die schlechteste Lösung.

Interview: Jürgen Gottschlich

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