EIN TRANSSYLVANISCHER STAUBSAUGER

■ Eine „Dracula„-Kopie im Hebbeltheater

Blutsauger, Wiedergänger, Nachzehrer und andere vampiristische Betätigungen hat es seit Menschengedenken gegeben. In zahllosen Legenden und Berichten, Büchern und Filmen ist das Treiben der Vampiere im Laufe der Jahrhunderte dokumentiert worden, ob nun als blutiger Ernst oder als Mordsspaß. Daß heute, zu Beginn der neunziger Jahre, wieder ein Dracula-Stück im Theater präsentiert wird, muß von den vielen Fachleuten, Liebhabern und Forschern des Vampirismus eigentlich zutiefst begrüßt werden. In einer Zeit nämlich, da die horrorinteressierten Menschen mit wahllos herummetzelnden Slashern und mit dumpfen Horden von Zombies abgespeist werden, kann die Rückbesinnung auf eine so ehrwürdige Gestalt wie Graf Dracula von großer Bedeutung sein. Das Schicksal des transsylvanischen Grafen, wie es Bram Stoker der Nachwelt überliefert hat, kann nicht nur unseren orientierungslosen blutrünstigen Jugendlichen, sondern auch uns langjährigen Feinschmeckern des Grauens die klassischen Angstschauer über den Rücken jagen. Die Koproduktion von Hebbeltheater und den jugoslawischen Theatern Subotica und Novisad griff auf Stockers Vorlage zurück und wollte zugleich „mit vielen trivialen Kinomythen spielen“.

Natürlich war die Premiere am Freitag abend ausverkauft. Doch schon als sich der Vorhang hob, sträubten sich den Sachkennern die Nackenhaare. Denn hier wurde mit Entsetzen Scherz getrieben. Lucy Harker (Roswitha Schreiner, die als Kreuzbergs Lieblings Tochter wesentlich besser aufgehoben ist) ahnt, daß die Reise ihres Gatten Jonathan Harker (Paul Matic in einem knappsitzenden Karokostüm) nach Transsylvanien böse Folgen haben wird. In der Postkutsche begegnet Jonathan dann Prof Dr. Dr. van Helsing (Gerry Wolf), einem verschusselten Gelehrten auf der Jagd nach Vampiren. Dieser erweist sich nicht als Stokersche Entsagungsgestalt, sondern als blasse Kopie des Prof. Ambronsius aus Polanskis „Tanz der Vampire“. Dieser Film scheint überhaupt dem Stückbearbeiter Urs Remond als unerschöpfliche Quelle für Handlung, Personen und Witze gedient zu haben.

Während der Erzähler im Off darauf hinweist: „Und der bleiche Mond taucht alles in sein graues kaltes Licht“, begegnen sich die beiden im Schloß Carmilla von Karnstein (Sigrid Langrebe ohne übermäßige Erotik). Ein weiterer böser Schnitzer. Carmilla, die durch Le Fanus Erzählung Berühmtheit erlangte, war ein lesbischer Vampir und würde sich nie in Draculas Schloß einquartieren und schon gar nicht an Jünglingen vergreifen. Ihr Werben um Jonathan findet mit Hilfe von Knoblauch und Kruzifix ein schreckliches Ende, der Holzpfahl wird ihr aufs Herz gesetzt, der Hammer geschwungen... und der Vorhang fällt. Wieder eine vertane Chance. Die Zuschauer, die zumindest hier auf ein Blutbad gieren, werden vom Erzähler versetzt: „Wir wollen dem verehrten Publikum diesen blutigen Anblick ersparen.“

Der Graf nun (Erik Hansen, der seine Vorgänger Max Schreck, Bela Lugosi und Christopher Lee keine Sekunde vergessen läßt) fällt besonders durch seine schleppende Redeweise auf: „Ich trinke nie... Wein“ und durch hemmungslose Polanski -Zitate: „Ich bin ein Nachtschwärmer und am Tage kaum zu gebrauchen.“ Trotz schwarzem Umhang, Frack und Fangzähnen kann er nie die innere Dramatik des aristokratischen Lustmolchs, der sich an bürgerlichen Jungfrauen vergreift, ahnen lassen. Er schwafelt völlig untraditionell von Satan und den Vorzügen ewigen Lebens und ist überdies durch sein prächtiges Gebiß in der Artikulation behindert: „Iff möchte Fie küffen.“

Die Geschichte schleppt sich mit Albernheiten und billigen Possen fort, das Publikum langweilt sich zusehends. Bemerkenswert die Auftritte des Hahns, der mit einem „Gockeldüddeldu“ den Grafen beim Morgengrauen in den Sarg ruft, und der Schiffsköchin Olga. Es war eben schon immer etwas Besonderes, Olga zu heißen. Zurück im viktorianischen England wird Lucy alsbald von Dracula angesaugt, und auch diese eigentlich so pikanten Szenen werden dem lüsternen Anblick entzogen. Schließlich wird Graf Dracula mit Hilfe eines gezückten Kruzifixes niedergestreckt, und während Prof. Dr. Dr. van Helsing verkündet: „Der Vampirismus ist weltweit gescheitert“, wird er von seinen Mitspielern, in zähnefletschende Vampire verwandelt, umringt und angefallen.

Nein, wir wollen keineswegs auf puritanische Werktreue pochen. Eine zärtliche und liebevolle Parodie des Vampir -Themas wie von Polanski, Warhol, Herzog oder auch den Hammer-Productions kann uns immer noch eine wonnevolle Gänsehaut bescheren. Aber eine schnöde Abwicklung von dumpfen Klischees reicht angesichts der Brisanz des blutsaugerischen Treibens nicht aus. Das Hebbeltheater hat durch seine blutlose Inszenierung ohne Biß eine schöne Chance vertan. Entsprechend höflich und distanziert war der Applaus am Schluß.

Olga O'Groschen

„Dracula“ von Urs Remond frei nach Bram Stoker noch morgen und am Mittwoch um 20 Uhr im Hebbeltheater