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De Gaulles Enkel

Lafontaines Auftritt bei Frankreichs Sozialisten  ■ K O M M E N T A R

Es lag nicht nur am Namen: Oskar Lafontaine ist spätestens seit seinem samstäglichen Auftritt beim Parteitag in Rennes zum Wunschkanzler der französischen Sozialisten samt ihrem Präsidenten geworden. Stehende Ovationen für einen bundesdeutschen Sozi, der einst mit dem Ruch des Krypto -Pazifisten behaftet war, auf einem PS-Parteitag? Keine Selbstverständlichkeit bei den verqueren Beziehungen zwischen beiden Parteien. Noch 1983 konnte sich ein französischer Sozialist vor den Bundestag stellen und zum Graus aller SPD-Genossen dem Raketenkanzler Kohl den Rücken stärken. Doch schon damals ging es Francois Mitterrand letztlich darum, zu verhindern, daß die Bundesrepublik aus der Nato ausscheren und auf tumbe Gedanken kommen könnte. „Die deutsche Frage ist für die nächsten zwanzig Jahre vom Tisch“, ließ sich einer seiner Berater zitieren, nachdem die Pershings und Cruise Missiles damals aufgestellt waren.

Welch schönes Paradox: jetzt ist es genau die sich ihrer Antwort zuneigende deutsche Frage, die Mitterrand und seine Partei den Verbündeten wechseln läßt. „Cher Helmut“ hat sich in den letzten Wochen selbst ausgegrenzt und mit seinen deutschnationalen Reden in Frankreich unmöglich gemacht. Lafontaine dagegen spricht nicht nur, er denkt auch französisch - oder gibt es zumindest vor: keine deutschen Alleingänge, sondern eine europäische Deutschlandpolitik; keine großdeutsche Mark ohne gleichzeitige Beschleunigung der europäischen Währungsunion; und schließlich: keine Neutralität, sondern ein europäisches Sicherheitssystem nach dem Muster „Schafft ein, zwei, drei, viele deutsch -französische Brigaden“. Im Saarland recycelter und auf Europa getrimmter Gaullismus - das kommt in Frankreich gut an, auch wenn sich manche an den Gedanken der Abrüstung, der hinter Lafontaines Ideen steckt, erst noch gewöhnen müssen.

Der Auftritt in Rennes war zugleich auch exterritorialer Auftakt für den Bundestagswahlkampf. Nicht nur, weil Lafontaine sich ohne jedes Gehabe als „SPD-Kanzlerkandidat“ vorstellen ließ. Der Auftritt war Programm. Lafontaine scheint entschlossen, als Kandidat EG-Europas gegen den „Wir sind ein Volk„-Patriotismus anzutreten. Die Sozialistische Internationale, erklärte er in Rennes, habe 1914 versagt, weil sie außer der „Emanzipation des Proletariats“ kein konkretes Allgemeines anzubieten gehabt hätte. Mit der europäischen Einigung gäbe es heute einen übernationalen Wert gegen den Rückfall in nationalstaatliches Denken zu verteidigen. Ein hehrer Gedanke - für den gewisse Opfer schon erbracht werden müssen: Bei seinem Besuch in Paris war Lafontaine schon so sehr Bundespolitiker, daß er, der Saarländer, das heikle Thema Cattenom gar nicht erst ansprechen mochte. Honni soit qui mal y pense.

Alexander Smoltczyk

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