Wie kann man Geld zum Stinken bringen?

Innenministerkonferenz hörte Experten über die „Wachstumsbranche“ organisierte Kriminalität / Ausbau der internationalen Polizei-Kooperation wird gefordert / Geldwäscherei soll in Zukunft strafbar sein / Wie kriminell dürfen verdeckt arbeitende Agenten werden?  ■  Aus Hiltrup Th. Scheuer

Das Kürzel war in aller Munde: OK, immer wieder OK Doch die Referenten, die von der Innenministerkonferenz (IMK) am vergangenen Donnerstag zur internationalen Expertentagung in die Polizeiführungsakademie nach Hiltrup bei Münster geladen waren, fanden die Sache gar nicht okay. Im Gegenteil: OK steht im Polizeijargon für organisierte Kriminalität. Und das Kürzel markiert eine Wachstumsbranche.

Der für 1992/93 angepeilte EG-Binnenmarkt im Westen sowie die Öffnung der Grenzen nach Osten eröffnen international tätigen Syndikaten ein gesamteuropäisches, grenzenloses Operationsgebiet. Die kriminellen Multis fallen zunehmend durch traditionelle Polizei- und Paragraphenraster: Die Gewinne aus Erpressung, Waffenschmuggel, Scheckbetrug, Subventionsschwindel oder Drogenhandel werden immer mehr in seriöse Anlagen - etwa Immobilien oder Firmenbeteiligungen reinvestiert. Legale und illegale Geschäfte vermischen sich, die ökonomische Macht der Syndikate wächst. Profitieren werden diese „Mischkonzerne“ und ihre Spezialisten für Geldwäsche vor allem von der Liberalisierung des Kapitalverkehrs, die in der EG schon in diesem Sommer in Kraft tritt.

Die Forschungsabteilung des Bundeskriminalamtes (BKA) prognostiziert, so dessen Noch-Vize- und designierter Präsident Hans Zachert, daß sich in der Bundesrepublik der Anteil der organisierten Kriminalität an der Gesamtkriminalität in den nächsten zehn Jahren ungefähr verdoppeln wird. Zwar sei eine Einflußnahme auf staatliche Organe und öffentliches Leben - beispielsweise nach italienischem Muster - in der BRD bisher noch nicht feststellbar. Ein von Zachert erläutertes Beispiel kommt dieser Vision aber bereits recht nahe: In einer westdeutschen Großstadt sei immerhin schon „Einflußnahme auf die Kommunalverwaltung, die Medien und die politische Ebene versucht und wohl auch erfolgreich angewandt“ worden. Und im vertraulichen Gespräch gibt sich ein Oberpolizist erleichtert darüber, daß er seinem Minister kürzlich die Teilnahme am Fest eines kapitalkräftigen Unternehmers gerade noch ausreden konnte - bald darauf flog der Mann als Drogen -Spediteur auf.

Den nach modernsten Busineß-Methoden gemanagten Syndikaten stehen die auf klassische Einzeltaten fixierten Fahnder bislang relativ hilflos gegenüber.

Die Ermittler der Zukunft, so fordert denn auch Zachert, müßten sich von der traditionellen Aufdeckung des Einzelfalles auf die „Aufdeckung von Strukturen“ verlegen. Vor allem aber müßten sie, ebenso wie die Konkurrenz, grenzüberschreitend operieren. Einhellig stimmen die Experten in den Ruf nach einem weiteren Ausbau der internationalen Kooperation ein. Baden-Württembergs Innenminister Dietmar Schlee (CDU) will den bevorstehenden Binnenmarkt mit einem „sicherheitspolitischen Netzwerk“ überziehen. Da das Wunschkind EKA, das Europäische Kriminalamt, wohl noch eine ganze Weile an den Grenzen nationalen Souveränitätsdenkens scheitern wird, setzen die Polizeistrategen vorerst auf den Ausbau des europäischen Regionalbüros von Interpol sowie auf den bilateralen Austausch von Verbindungsbeamten und Daten.

Ein rechtsstaatlich zweischneidiges Schwert ist die vermeintliche Wunderwaffe des „verdeckten Ermittlers“, aus den USA bekannt als Undercover-Agent (UCA). Unter falscher Legende eingeschleust, sollen die UCAs Informationen aus dem Innenleben der Syndikate beschaffen. Somit personifiziert der Undercover-Agent den Eingang geheimdienstlicher Mittel in die Polizeiarbeit. Strittigste Frage: Sollen sich UCAs auch an Verbrechen beteiligen dürfen, um ihre Tarnung aufrechtzuerhalten und größere Zusammenhänge aufzudecken? Bis zu einem gewissen Grad ja, meint der baldige BKA-Chef Zachert. Auch die britischen und US-amerikanischen Experten reden der langen Leine für die UCAs das Wort, während die Kollegen aus Frankreich und Italien abwinken. Nordrhein -Westfalens Innenminister Herbert Schnoor (SPD) führt das Lager der inländischen Zweifler an: Er ortet gerade in der Verquickung der legalen und illegalen Aktivitäten der OK -Syndikate die politische Brisanz des neuen Bedrohungsbildes, und da dürfe der Rechtsstaat nicht seinerseits die Grenzen zwischen legalen und illegalen Tätigkeiten verwischen. Den SPD-Minister beunruhigt diese operative Grauzone: Ein Geschäftsmann, der von einem Geldwäscher angegangen werde, wisse dann nicht mehr, ob er es mit einem Mafioso oder einem Beamten zu tun habe.

Tatsächlich würde ein gesetzlicher Freibrief für die UCAs das Legalitätsprinzip staatlicher Tätigkeit auf den Kopf stellen und einen tiefen Einschnitt in die Rechtsordnung der Bundesrepublik markieren. Die Befürworter der langen Leine für die UCAs führen zur Beruhigung an, als „Verdeckte“ würden nur charakterfeste und bestens geschulte Beamte eingesetzt, die wiederum von Spitzenkräften geführt würden. Das Celler Loch oder die Kapriolen des Vielfach-Agenten Mauss berechtigen allerdings zu erheblichen Zweifeln.

Im Grundsatz einig sind sich A- und B-Länder, wie die Lager der SPD- und CDU-regierten Bundesländer in der IMK tituliert werden, sobald es ums Geld geht, konkret um die Geldwäsche. Denn nur beim Profit sind die OK-Barone wirklich zu packen. Dietmar Schlee (B-Land) mahnt die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die Konfiszierung der Vermögen aus kriminellen Geschäften an. Geldwäsche soll strafbar werden, wie das schon eine Uno-Resolution vom Dezember 1988 fordert. Amtskollege Schnoor (A-Land) ergänzt, man werde gar „um eine Lockerung des Bankgeheimnisses nicht herumkommen.“ Zentrales Problem ist nämlich die Identifikation illegaler Gelder. „Geld stinkt nicht“, erklärt einer, der die Nase tagtäglich mitten drin hat: Marcel Bertschi, Erster Staatsanwalt in der Banken- und Schwarzgeld-Metropole Zürich. Über 200 Milliarden Franken werden laut Bertschi an einem einzigen Tag im bargeldlosen Zahlungsverkehr über die Banken der Schweiz bewegt. „Wir müssen das Geld zum Stinken bringen,“ umschreibt Bertschi die Sisyphusaufgabe, aus diesen immensen computergesteuerten Geldströmen tröpfchenweise die Narco -Dollars und anderen OK-Cash herauszufiltern. Bertschi beharrt allerdings auf unerbittlicher Strafverfolgung auch kleiner Hasch-Händler und Konsumenten, für die A-Land -Minister Schnoor eher Hilfe statt Repression anmahnt. Bertschi fordert außerdem, trend-widrig sozusagen, eine Verschärfung von Grenz- und Straßenkontrollen. Um mehr Großdealer hinter Gitter zu bringen, so die Logik des Zürcher Anklägers, müßten die strafprozessualen Rechte der Angeklagten eingeschränkt werden.