: Alles im (giftfreien) Lack
■ Ökotopia im Hollerland
Für Herrn Mörus ist es an diesem Frühlingsnachmittag schon wieder etwas zu kühl: Er verläßt das Atrium seines Hauses und setzt sich lieber in den biogasbeheizten Wintergarten. Für den kleinen Hunger zwischendurch knabbert er an einer Mohrrübe (aus eigenem Öko-Anbau, versteht sich) und genießt dabei den Blick auf den Vorplatz seines Hauses: Die Nachbarn prosten ihm mit naturtrüben Apfelsaft aus der genossenschaftseigenen Obstplantage zu, der Siedlungsbeauftragte für die Regenwasserzisternen leert die kostbaren Tropfen der letzten Nacht in einen Tank, der per Pferdewagen gezogen wird. Kinder fangen quakende Frösche aus dem anliegenden Feuchtbiotop und blasen die munteren Frühlingsmusikanten mit recyclbaren Stroh-Halmen auf, nur der Terroristenjunge von nebenan spielt natürlich mal wieder mit einem Cadmium-Nickel-batteriebe triebenen Auto. Ein mildes, warmes Lüftchen läßt die Windräder in den Vorgärten von Ökotopia schnurren. Den Möhrenschnurps legt Herr Mörus ordentlich zur Seite: Er wird beim Abendspaziergang auf dem Siedlungskompost landen.
So oder so ähnlich könnte das Leben im Hollerland in nicht allzu ferner Zukunft aussehen. Eine vierköpfige „Gruppe Öko -Bau“ hat ein Siedlungskonzept für 25.000 Quadratmeter Hollerland entwickelt. Über Einrichtungen wie gemeinsame Heizkraftwerke oder Anlagen zur Brauchwasserwiederaufbereitung soll ein „Siedlungsorganismus“ entstehen, der die einzelnen Genossenschaftsmitglieder über gemeinsame Interessen und Verantwortung miteinander verbindet. Ökologisch bauen, das heißt vor allem eine menschenwürdige Architektur, weiträumige Flächennutzung mit begrenzter Baudichte, Einsatz regenerativer Energien und natürliche Baustoffe. Kommunikative Architektur mit Gemeinschaftsplätzen und offenen Wohnformen (Laubengänge, Vorhöfe), aber natürlich auch genügend privatem Platz. Das Höhenlimit für die Ökosiedlung liegt bei zweieinhalb Stockwerken. Neben Kleinfamilien- und Mehr-Generationen-Hütten sind außerdem Studentenbuden und Gemeinschaftshäuser geplant: ein mögliches Feld für den kommunalen Erwerb von Genossenschaftsanteilen.
Um den Projektgedanken möglichst nah an entscheidungsträchtige Institutionen heranzutragen, legten die Öko-Bauer ihre Pläne beim Amt für Stadtentwicklung vor. Amtsleiter Detlef Kniemeyer: „Für sich genommen kann man diese Projekt nur gut finden“. Doch der uneingeschränkten Unterstützung des Stadtplaners folgt die Ernüchterung durch den Pragmatiker Kniemeyer: „Bei der aktuellen Wohnungsnachfrage müssen wir wesentlich dichter bauen.“
Wesentlich reservierter zeigte sich Gewoba-Chef Eberhard Kulenkampff von den Öko-Plänen. Die Gewoba als Besitzerin des in Frage kommenden Geländes hatte schon anläßlich der eingeschränkten Bebauungsflächen im Hollerland mit den Zähnen geknirscht. Für eine ernsthafte Auseinandersetzung sieht Kulenkampff „keinen Anlaß“. Die Gewoba orientiere sich allein an den Planungsvorgaben der Stadt. „Teures Wohnen, aber Öko“ sei mit der Gewoba als Genossenschaftsmitglied nicht zu machen.
Das Konzept der Gruppe Öko-Bau wird noch in dieser Woche mit VertreterInnen der Stadt diskutiert. Ein möglicher Schwachpunkt des Projekts: Bisher ist noch keine einzige Mark für die Genossenschaft eingelegt worden. Markus Daschne
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