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Moskau - Warschau - Tel Aviv

 ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Es ist Donnerstagmorgen, halb neun in der Früh, in einer dreiviertel Stunde wird die Tupelev 154 der polnischen Fluglinie LOT in Richtung Tel Aviv abheben. Für die über zehnköpfige Großfamilie am Abfertigungsschalter ist es die letzte Etappe ihrer langen Reise. Fast alle, die an diesem Morgen durch die Abfertigung nach Tel Aviv geschleust werden, sowjetische Juden.

Jüdische Familien mit sowjetischen Pässen sieht man inzwischen häufig an Bord der LOT- und El-Al-Maschinen; schon seit einigen Monaten bestehen regelmäßige Linienflugverbindungen zwischen Warschau und Tel Aviv. Dienstags fliegt El Al, donnerstags LOT - fast immer ausgebucht. Ab 26. März, wenn der Sommerflugplan beginnt, wird die Zahl der Flüge verdoppelt, dann fliegt zweimal die Woche eine Tupelev und zweimal eine israelische Boeing 737, bei Bedarf auch eine größere 767. Hinter diesem Flugplan verbirgt sich ein ausgesprochen politischer Hintergrund.

Bis Oktober letzten Jahres lief die Auswanderung sowjetischer Juden hauptsächlich über Bukarest und Wien. Dies deshalb, weil es aus der Sowjetunion keine Direktflüge nach Israel gibt, anders als alle anderen Warschauer-Pakt -Mitgliedsländer hat Rumänien seine diplomatischen Beziehungen zu Israel nie abgebrochen. In Wien dagegen kamen im letzten Jahr insgesamt 74.000 jüdische EmigrantInnen an, offizielles Reiseziel: Israel. Dorthin weiter flogen dann tatsächlich allerdings nur 1.256. Alle anderen wurden von Mitarbeitern des amerikanischen „Joint-Comitee“ in Wien untergebracht, nach kurzem Aufenthalt - der geringen Quartierkosten wegen - nach Italien weitergefahren und von dort aus, nach Erhalt eines amerikanischen Einwanderervisums, in die USA geflogen. Eine Praxis, die Israel stets ein Dorn im Auge war, weshalb es in Wien auch noch eine zweite, israelische Hilfsorganisation gab, „Jewish Agency“ genannt, die sich nach Kräften bemühte, die Ankömmlinge in Wien von den Vorteilen einer Weiterreise nach Israel zu überzeugen.

Dieser Wettbewerb fand ein abruptes Ende, als die USA ihr Kontingent für sowjetische Juden auf 40.000 festschrieben. Österreich reagierte darauf mit der Einführung neuer Visavorschriften, denen zufolge SowjetbürgerInnen nur noch dann österreichische Visa ausgestellt werden, wenn sie ein Visum für das Zielland vorweisen können. Zwischen Österreich und der Sowjetunion herrscht Visumpflicht. Da die Anträge für US-amerikanische Einwanderervisa mit Rücksicht auf die Praktiken der sowjetischen Grenzbehörden erst in Wien gestellt werden konnten und sowjetische Juden somit keine Drittland-Visa vorweisen können, ist der Flüchtlingsstrom über Österreich nach Israel weitgehend versiegt.

Zur gleichen Zeit, als die USA und Österreich den Weg über Wien blockierten, bemühte sich Warschau um diplomatische Beziehungen zu Israel. El-Al richtete eine Vertretung in Warschau ein, mit dem Winterflugplan begann der Linienverkehr zwischen Warschau und Tel Aviv. Als vor wenigen Wochen der damalige israelische Außenminister Arens zu einem Besuch nach Warschau kam, schlug er auch vor, den Transitverkehr der jüdischen AuswanderInnen künftig über Warschau abzuwickeln.

Aus israelischer Sicht hätte dies den Vorteil, daß Abwerbeversuche anders als in Wien weitgehend zum Scheitern verurteilt wären: Um ein Visum für Polen zu bekommen, benötigen sowjetische Staatsbürger eine Einladung von Freunden oder Verwandten in Polen. Ein Transitvisum gilt maximal 48 Stunden, zu kurz, in dieser Zeit in Warschau ein Visum für die USA zu beschaffen.

Wer also künftig in Moskau seine Auswanderung nach Israel beantragt, der muß dann auch tatsächlich nach Israel reisen. Auch finanziell ist die „Schleuse Warschau“ für beide Seiten vorteilhaft: Die polnischen Fluglinien machen ein Geschäft über die Zusammenarbeit mit El Al sei man sehr zufrieden, betont ein LOT-Sprecher -, und die Auswanderer dürfen ihre Tickets als Sowjetbürger in Rubel und Zloty zahlen. Der Flug über Wien mußte dagegen für die Strecke Wien-Tel Aviv in Devisen bezahlt werden.

Da der israelische Wunsch, möglichst viele der Auswanderer „heim„zuholen, unter anderem den brisanten Hintergrund hat, daß diese nach den Vorstellungen der israelischen Hardliner in den besetzten Gebieten angesiedelt werden sollen, um damit vollendete Tatsachen zu schaffen, ist die israelische Regierung in dieser Frage nie offiziell an das polnische Außenministerium herangetreten. Trotzdem sei man, so die polnische Regierungssprecherin Malgorzata Niezabitowska auf Anfrage unserer Zeitung, „offen für den Vorschlag.“ Vorbereitungen gebe es allerdings nicht.

Über 61.000 Passagiere können bereits jetzt mit Linienflügen pro Jahr nach Tel Aviv geflogen werden, von LOT geplante Zusatzflüge nicht mitgerechnet. Doch selbst wenn die AuswanderInnen LOT und El Al einmal überfordern sollten, so gibt es immer noch den Budapester Flughafen. Denn Ungarn hatte noch vor Polen die diplomatischen Beziehungen zu Israel aufgenommen und bietet ebenfalls Direktflüge nach Tel Aviv an. Zumal es ohnehin nur eine Frage der Zeit ist, wann auch Aeroflot direkt nach Tel Aviv fliegt.

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