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Die gespaltene Deutsche Demokratische Republik

■ Die Infas-Analyse der DDR-Wahl zeigt ein starkes Gefälle zwischen Nord und Süd, Stadt und Land, Hand- und Kopfarbeitern auf / Höchst Anteile der Allianz in Landkreisen mit viel Arbeiterbevölkerung im Süden / In Großstädten kam die Allianz nur auf 26,5 Prozent / Die Hauptstadt Berlin blieb rote Insel im schwarzen Meer

Bonn (dpa) - Der Wahlkampf hatte zu einer Herausbildung von zwei Lagern geführt:

-Auf der einen Seite standen die politischen Gruppierungen, die sich nach Bonner Muster formiert hatten: Sozialdemokraten, Liberale sowie die in der „Allianz für Deutschland“ verbündeten drei Parteien (CDU, DSU und Demokratischer Aufbruch).

Erklärtes Ziel dieser Parteien war der rasche Zusammenschluß der beiden Staaten; Unterschiede zwischen SPD und Allianz traten in den Modalitäten dieses Weges, kaum in den Zielen auf.

-Im anderen Lager waren jene Gruppen versammelt, die auf eine gewisse Eigenständigkeit der DDR beim Aushandeln der Modalitäten und Wahrung von Besitzständen Wert legten. Hier trafen sich die Kontrahenten von gestern: die PDS und die als „Bündnis '90“ vereint auftretenden Bürgerbewegungen; ferner die alten Blockparteien ohne bundesdeutsches Face -Lifting (Nationaldemokraten und Bauernpartei) und die neue ökologisch-feministische Formation.

Alle übrigen kandidierenden Gruppen und Grüppchen können in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben. Aus den Umfragen vor der Wahl ergab sich bei vielen wichtigen Fragen eine deutliche Trennungslinie zwischen den beiden Lagern, vielfach aber Unterschiede nur in Nuancen zwischen den Parteien innerhalb eines Blockes. Die schärfste Polarisierung kam bei der „harmlosen“ Frage zum Vorschein, ob man sich eher als „DDR-Bürger“ oder als „Deutscher“ fühle. Insgesamt gab es unter 100 Befragten 52 „Deutsche“ und 37 „DDR-Bürger„; die einen konzentrierten sich auf Allianz, Liberale und SPD, die anderen auf PDS, Bündnis '90, Grüne und andere frühere Blockparteien.

Alle Befragungsergebnisse verweisen darauf, daß es bei dieser Wahl letztlich nur ein einziges Thema gab, wenn auch in verschiedenen Ausprägungen: die rasche Einigung. Die Wähler meinten damit weniger die verfassungsrechtlichen Fragen als die Probleme des alltäglichen Wohlergehens und Lebensstandards. Strittig war das Tempo, das vorgelegt werden sollte. CDU und DSU versprachen, glaubwürdiger als alle anderen, den zügigsten Fahrplan.

Viele Aspekte des Wählervotums kamen nicht eigentlich unerwartet, aber in der Höhe und Eindeutigkeit überraschend:

-Die Beteiligung war mit über 93 Prozent außerordentlich hoch.

-Die Parteien mit Westorientierung konnten drei Viertel der Stimmen auf sich vereinigen.

-Innerhalb dieses Lagers gab es mit der CDU eine klare Siegerin, die allein mehr Stimmen erhielt als die anderen Wettbewerber in dieser Gruppe zusammen.

-In den Reihen der Autonomiebefürworter hat nur die PDS mit 16,3 Prozent ein nennenswertes Resultat erzielt, die anderen Gruppen kamen nicht auf einmal auf fünf Prozent.

Im Ergebnis haben sich einige prägnante soziale und regionale Faktoren niedergeschlagen, die bei näherer Betrachtung zur Erklärung des im In- und Ausland mit Verblüffung aufgenommenen Votums beitragen. Das Muster ist äußerst kontrastreich, die politische Landkarte weist klare Konturen auf.

In regionaler Hinsicht ergibt sich ein kräftiges Gefälle von Süden nach Norden:

-In den südlichsten Bezirken Erfurt, Gera, Suhl, Karl-Marx -Stadt und Dresden konnte sie Stimmenanteile von 60 bis 62 Prozent verbuchen.

-In einem mittleren Bereich (Bezirke Magdeburg, Halle, Leipzig und Cottbus) lag die Allianz zwischen 47 und 58 Prozent.

-Weiter nördlich, in den Bezirken Frankfurt, Potsdam, Neubrandenburg, Schwerin und Rostock lagen die Allianz -Anteile zwischen 33 und 42 Prozent.

-Die Hauptstadt Berlin fällt völlig aus dem Rahmen: Hier mußte sich die Allianz mit 22 Prozent und dem dritten Rang hinter SPD und PDS begnügen, die CDU allein lag bei etwas über 18 Prozent.

Das soziale Profil der Anhänger des konservativen Bündnisses läßt sich aufgrund des Wahlergebnisses nur für die Kreise ausweisen. Wo der Anteil der Industriebeschäftigten über 45 Prozent beträgt, konnte die Allianz mehr als 56 Prozent der Stimmen erobern. In Gebieten mit wirtschaftlich ausgewogener, aber industriell geprägter Struktur lag ihr Anteil bei 50 Prozent, d.h. nahe beim Durchschnitt. Unter dem Durchschnitt blieb die Allianz dort, wo Dienstleistungen oder aber die Landwirtschaft dominieren (36 bzw. 42 Prozent). CDU und DSU sind also Parteien der Industriearbeiterschaft geworden.

Diese Tendenz wird durch die feinere Aufgliederung der Infas-Erhebungen am Wahltag - nach Verlassen der Wahllokale

-erhärtet. Arbeiter gaben zu etwa 58 Prozent an, eine der Parteien der Allianz unterstützt zu haben; Angestellte zu etwa 47 Prozent; Rentner zu 43 Prozent; Angehörige der „Intelligenz“ nur zu 32 Prozent. In dieser letzten Gruppe waren PDS und Bündnis '90 zusammen genau auf den gleichen Wert gekommen.

Ebenfalls sehr ausgeprägt ist das Gefälle von den großen zu den kleinen Gemeinden. In den Großstädten ab 200.000 Einwohnern kam die Allianz auf insgesamt 26,5 Prozent. Je kleiner der Ort, um so größer der Anteil der für eine Partei der Allianz abgegebenen Stimmen. In der Kategorie der kleinsten Gemeinden (unter 2.000 Einwohner) sind das über 56 Prozent.

Die Republik ist also mehrfach gespalten: nach Nord und Süd; nach Stadt und Land; und nach Hand- und Kopfarbeitern.

Die Merkmale lassen sich zwar getrennt erfassen, sie treten aber in der Wirklichkeit verschränkt auf. Wenn die drei Einflußgrößen kombiniert werden, schälen sich die am stärksten vom Durchschnitt abweichenden Regionen, Kreise oder Städte heraus:

-Die höchsten Anteile der Allianz ergeben sich in den Landkreisen mit viel Arbeiterbevölkerung im Süden des Landes. Mehr als zwei Drittel konnte sie z.B. in den Kreisen Marienberg, Annaberg, Schwarzenberg im Bezirk Karl-Marx -Stadt, im Kreis Sebnitz (Bezirk Dresden), in Zankenbroda (Gera) und Schmalkalden (Suhl) verbunden.

-Am wenigsten Resonanz fand die siegreiche Allianz in den größeren Städten mit starken Dienstleistungs- und Verwaltungsfunktionen in den nördlichen Regionen wie in Rostock, Neubrandenburg, Potsdam oder Frankfurt. Auch der Extremfall Berlin fällt in die Rubrik.

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