: „Etikettenschwindel“
Ladendiebe bessern Kriminalitätsstatistik auf ■ G A S T K O M M E N T A R
Wie in jedem Jahr legte nun der Innensenator die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vor. Und wie jedes Jahr wurde auch dieses Mal mit den scheinbar objektiven, nüchternen Zahlen handfest Politik gemacht. Die Kriminalität sei um 7,7 Prozent angestiegen, die Aufklärungsquote mit 48,6 Prozent so hoch „wie seit zehn Jahren nicht mehr“, heißt es. Die hohe Aufklärungsquote muß als Beweis für die erfolgreiche Arbeit unserer „Ordnungshüter“ herhalten. Doch auf die Höhe der Aufklärungsquote hat die Polizei, mit wieviel Personal auch immer, nur einen verschwindend geringen Einfluß. Sie kann nur die Fälle bearbeiten, die ihr in der Regel durch andere bekannt gemacht werden. „Aufgeklärt“ werden meist die Taten, bei denen der Täter „mitgeliefert“ wird, zumindest für den großen Bereich der Klein- und Massendelikte.
Im letzten Jahr hat das „Delikt des Jahres 1989“ (Pätzold), der Ladendiebstahl, diesen vermeintlichen Erfolg erst ermöglicht. Ohne den extremen Anstieg der Ladendiebstähle, die ja erst nach ihrer Aufklärung der Polizei gemeldet werden, läge die Quote sogar unter dem Wert von 1988. Jede der 35.927 angezeigten LadendiebInnen hat somit ihren Teil zur Aufbesserung von Pätzolds Erfolgsbilanz beigetragen. Eine wirksame Entlastung der Strafverfolgungsbehörden könnte an diesem Delikt ansetzen. Es ist nicht einzusehen, warum die Warenhäuser mit ihren profitorientierten Werbe-, Präsentations- und Verkaufsmethoden satte Gewinne einstreichen, der Polizei aber die Aufarbeitung der negativen Begleiterscheinungen dieser „Anstiftung“ überlassen bleibt. Im Versicherungswesen ist es eine Selbstverständlichkeit, daß Diebesgut nur ersetzt wird, wenn es mit der nötigen Sorgfalt gesichert wurde. Mehr als 60.000 Arbeitsstunden verwendet die Polizei jährlich auf die Bearbeitung von Ladendiebstahl. Spielraum genug für politische Entscheidungen.
A. Brinker/N. Schellberg, FU-Projekt „Bagatellstraftaten“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen