piwik no script img

Das schönste Schachgenie

Jose Raoul Capablanca y Graupera, Weltmeister aus Kuba  ■  WIR LASSEN LESEN

Ich glaube, daß es aus mancherlei Gründen auch der heutigen Jugend sehr wohl täte, tief in die Vergangenheit zurückzuschauen“, schrieb der Schachgroßmeister M.Vidmar in seinem Buch Goldene Schachzeiten. Ein kleiner Band über den Kubaner Capablanca befolgt diese Devise und stellt das legendäre „Fünf-Weltmeister-Turnier“ von Nottingham im Jahre 1936 in den Mittelpunkt. Hier trafen die alten Kämpen wie Lasker, Aljechin, Capablanca, die ihren „Altweibersommer“ (Vidmar) erlebten, auf junge Emporkömmlinge: Max Euwe, den amtierenden Weltmeister, der kurz zuvor gegen Aljechin gewonnen hatte, den Titel zwei Jahre später aber wieder an diesen verlor, und vor allem Michail Botwinnik, die beherrschende Figur der Ära nach Aljechin.

Die Prinzessin Olga Tschegodajewa, spätere Ehefrau Capablancas, beschreibt die Atmosphäre des Turniers und porträtiert die Teilnehmer, den 68jährigen Lasker, ein „ehrwürdiger Herr mit der Majestät eines Löwen“, und den verbissenen Aljechin mit seinem „säuerlichen Lächeln“, der nichts so sehr haßte wie Niederlagen und seinem Vorgänger Capablanca, nachdem er ihm 1927 in Buenos Aires den Titel abgenommen hatte, aus dem Weg ging, als habe dieser die Pest.

Nie mehr spielte er mit ihm um die Weltmeisterschaft, in Nottingham trafen die beiden erstmals wieder aufeinander. Wenn der eine am Zug war, ging der andere fort, weil er die Gegenwart des verhaßten Rivalen nicht aushielt. Der Kubaner gewann - Aljechin besiegte ihn in den fünf Partien, die in den nächsten Jahren noch folgen sollten, nur ein einziges Mal - der nach Deutschland emigrierte Russe betäubte seinen Grimm mit Wein und wurde nur Sechster. Einig waren sich die beiden lediglich in ihrer Aversion gegen Euwe, und der Brite Fine zeigte sich höchst amüsiert, als ihn die beiden Exweltmeister bei seiner Partie gegen den Niederländer mit gewisperten Ratschlägen überhäuften.

Capablanca war nicht nur der schönste, sondern wohl auch der genialste Schachspieler aller Zeiten. Beide Eigenschaften hatten allerdings etwas gelitten, als er 48jährig nach Nottingham kam. „Capablanca war damals schon nicht mehr so bildschön wie in den Tagen seiner Jugend“, schreibt Botwinnik in seinem Bericht. Und auch das Schachspiel ging ihm nicht mehr gar so leicht von der Hand. Er gehörte nicht zu den Schachspielern, die dauernd für das Schach lebten, ständig Partien analysierten und diskutierten und „beim Essen ein Taschenschach neben ihrem Teller liegen hatten“ (Olga Tschegodajewa).

Capablanca besaß zu Hause nicht mal ein eigenes Schachbrett. Von Theorie hielt der junge Mann nichts, er spielte aus dem hohlen Bauch. Später ließ seine Intuition allerdings nach, auch er mußte sich mit Strategie und Taktik auseinandersetzen und schrieb sogar ein Standardwerk. „Aus dem puren Praktiker war ein gar nicht schlechter Theoretiker geworden“ (Botwinnik). Capablanca gewann das Turnier von Nottingham gleichauf mit Botwinnik, es war der letzte große Sieg des 1942 gestorbenen Kubaners, der seine Laufbahn 1939 nach der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires beendete.

Ein Leckerbissen für Schachfans sind die am Ende des Buches aufgeführten, meist weniger bekannten Capablanca-Partien: ein Lebenslauf in 31 Notationen.

Matti

Jose Raoul Capablanca: Ein Schachmythos. Partien, Analysen, Kommentare. Walter Rau-Verlag 1989, ISBN 3-7919-0286-5, 77 Seiten, DM 19,80.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen