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„Die Clans verfeinern ihre Fähigkeiten“

Ein Gespräch mit dem Grünen-Abgeordneten und Rechtsanwalt Gianni Lanzinger  ■ I N T E R V I E W

Gianni Lanzinger gehört zu den Rechtsanwälten vom Festland, die 1986 wegen des großen Prozesses nach Sizilien gingen und sich den Mafia-Hinterbliebenen gratis als Nebenklagevertreter zur Verfügung stellten, nachdem die Clans vorsorglich sämtliche Advokaten der Insel wegverpflichtet hatten. 1987 wurde er ins Parlament gewählt. Er ist Mitglied der Antimafiakommission und Vizepräsident des Abgeordnetenhauses.

taz: Der Mafia-Experte Arlacchi sieht die Mafia auf dem Marsch nach Osten. Ein übertriebener Alarmruf?

Gianni Lanzinger: Nein. Aus dem früheren patriarchalisch -ländlichen System der Mafia ist längst ein Großunternehmen geworden, das dem Weg des großen Geldes folgt. Die Mafia ist mittlerweile bekanntlich weltweit organisiert. Natürlich hat sie bestimmte „Bastionen“, dazu gehört Sizilien. Aber man muß hier „Mafia“ als traditionellem System von „Mafia“ als ökonomisch-kriminelles Parallelsystem unterscheiden: In diesem Sinne bestehen mafiose Zentren heute überall dort, wo es große Märkte gibt, etwa in den bedeutenden Finanzzentren

-in Mailand ebenso wie in Frankfurt, London oder New York.

Der Osten scheint aber nicht so reich, daß Riesengeschäfte wie im Westen winken.

Richtig; doch die internationalen Clans sehen dort zumindestens zwei große Profitchancen: einerseits ihre Kapitalien analog zu den Großbanken und der Industrie höchst gewinnbringend anzulegen...

Als was? Als Hilfe oder zur Staatssanierung oder zur Reinigung schmutzigen Geldes?

Sicher auch zum Recycling, weil die Ost-Regierungen noch keine Erfahrung mit großen kriminellen Gruppen haben. Darüberhinaus wäre die Mithilfe bei der „Staatssanierung“ aber auch nichts Neues: die Clans haben seit Jahren Staatsanleihen in solcher Höhe erworben, daß die Mafia heute der größte Gläubiger unseres Staates ist.

Die andere Profitmöglichkeit?

Die besteht darin, daß sie ihre angestammten Geschäfte in den Osten ausdehnen, etwa den im Westen abflauenden Heroinhandel, aber auch Schmuggel, Devisenschieberei etc.

In der Bundesrepublik und in anderen Staaten werden derzeit neue Gesetze gegen den Drogenhandel eingeführt. Damit, so behaupten ihre Verfechter, soll die organisierte Kriminalität entscheidend geschwächt und auch ihr Einsickern in den Osten verhindert werden. Klappt das?

Nein. Die Gefahr kommt nicht vom künftigen mafiosen Kapital, sondern von dem bereits existierenden. Maßnahmen alleine auf dem Drogensektor reichen nicht aus. Wir haben auf Sizilien derart superreiche Gruppen, daß sie auch ohne Rauschgifthandel schalten und walten, wie sie wollen. Nach Auskunft unseres Innenministeriums sind ganze Regionen Italiens von mafiosen Clans regiert - der Staat ist dort völlig machtlos.

Ist ein Aufstieg mafioser Gruppen auch im Ausland denkbar?

Es gibt Beispiele, etwa in den USA. Besondere Gefahr droht von der immer weiter verfeinerten und zur Nachahmung einladenden Fähigkeit der Clans, Entscheidungen der Politik und der Behörden nicht durch Infiltration zu erreichen, sondern sie von außen her zu konditionieren: ohne selbst in die Administration und die Politik einzusteigen, erreichen sie, daß sie nicht nur lukrative öffentliche Aufträge erhalten, sondern auch, daß die Behörden sie auf anderen Sektoren ebenfalls nicht bekämpfen.

Und wie ist es möglich?

Das ist möglich geworden durch die immer geringere Wachsamkeit der Öffentlichkeit, durch sinkende Moral der Regierenden, durch Klientel- und Vetternwirtschaft, durch die Vermengung politischer mit wirtschaftlichen Interessen.

Italiens Antimafiagesetze suchen der Plage durch zweierlei juristische Figuren Herr zu werden: den „Pentito“, den kollaborationsbereiten Ex-Mafioso, der dafür erheblichen Strafnachlaß erhält, und den Undercoveragenten. In der Bundesrepublik kann man sich damit nicht anfreunden.

Da muß man unterscheiden: Die Einführung des „Kronzeugen“ hat sich teilweise als einziges Mittel erwiesen, Clans zu sprengen. Die dabei enstehenden Probleme liegen auf zwei Ebenen: Erstens muß sicher sein, daß der Geständige wirklich die Seite gewechselt hat und nicht, wie geschehen, nur die Justiz zur Fortsetzung seines Kampfes gegen andere Banden benutzt oder allerlei Märchen erfindet. Zweitens müssen wir für die wirklichen „Pentiti“ und ihre Familien ausreichenden Schutz gewährleisten, sonst bricht diese Einrichtung unter dem Druck der Rache der Clans zusammen. Was den Undercoveragenten betrifft, so sind wir entschieden dagegen, daß dieser Gesetzesbrüche oder gar schwere Straftaten begehen darf. Zu bedenken wäre jedoch der Vorschlag, daß der Agent verdeckt, aber ohne Straftaten zu begehen, Beweise im Milieu sammelt, und dann nicht selbst vor Gericht erscheinen muß. Dann aber müßten wir sichere Garantien für seine Authentizität bekommen, etwa in Form eines besonderen Richters, der uns dies nach eingehender Prüfung versichert.

Wie kann man ansonsten den Kampf gegen die Organisierten führen?

Der rein polizeiliche und gerichtliche Kampf wird auf keinen Fall ausreichen. Aussicht auf Erfolg sehen wir nur, wenn sich Politik und öffentliche Verwaltung gleichzeitig zu einer rigorosen Eigensäuberung durchringen, wenn sich eine neue politische Kultur herausbildet - und das gilt nicht nur für Italien - und wenn die Politik widersteht, wo sie noch nicht mit der organisierten Kriminalität kungelt, also etwa im größten Teil des Ostens.

Die Aussicht darauf scheint aber nicht sonderlich günstig.

Richtig. Führen wir aber in der Administration den Kampf um die Renovierung der Politik nicht, so bedeutet das, sich der mafiosen Herrschaft endgültig zu ergeben.

Das Gespräch führte Werner Raith

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