: „Dienstzeit muß runter, Kohle muß rauf“
■ Ostberliner Feuerwehrleute: Frühkapitalistische Arbeitszeiten von 72 Wochenstunden und miese Bezahlung / Ein Besuch beim Feuerwehrkommando Friedrichshain / „Wir schützen, was des Volkes Hände schaffen“ / Alle warten auf die Vereinigung der Feuerwehren
„Das ist eben der berühmte Vorführeffekt“, frotzelt Major Bernd Goldsche (40). Nun besuchen zum ersten Mal Westjournalisten eine Brandwache im anderen Teil der Stadt, und es passiert seit Stunden rein gar nichts. Die von Ost -Berlins höchstem Brandhüter Oberst Meier genehmigte Reportage über das „Kommando Feuerwehr Friedrichshain“ scheint bedauerlicherweise als Trockenübung zu enden. Dann allerdings kommt an diesem Werktag gegen zwei Uhr nachmittags doch noch das erlösende Alarmstichwort. Eine „Gasausströmung“ in einem Altbau in der nahe gelegenen Gabriel-Max-Straße. Kaum ist die scheppernde Lautsprecherstimme und der an- und abschwellende Sirenenton verklungen, haben wir uns auch schon auf die Rücksitze des Ausrückedienstwagens für den wachhabenden Feuerwehroffizier gequetscht, einem rot-weiß lackierten Wartburg. Der Weg ist freilich vergeblich: „Kein Gas!“ „Wir haben ja die absoluten Gasnasen“, beruhigt Oberleutnant Peter Sommer die meldenden Bürgerinnen aus einer kommunalen Mütterberatungsstelle.
Augenscheinlich sind auch Ost-Berlins Feuerwehrleute genauso wie ihre Kollegen überall auf der Welt häufiger mit Fehlalarmen konfrontiert. Damit endet jedoch fast schon alle Gemeinsamkeit. Die etwa 650 Männer auf insgesamt zehn Stadtbezirkskommandos verteilten hauptstädtischen Berufsfeuerwehrer haben noch die 72-Stunden -Bereitschaftswoche und dürfen dafür im Schnitt monatlich maximal 1.400 Mark nach Hause tragen. Selbst für den mit 2.100 Mark noch vergleichsweise gut entlohnten Kommandoleiter Goldsche ist das ein nicht mehr länger hinnehmbarer sozialer Mißstand: „Ein Westberliner Feuerwehrmann muß nur zwei Drittel der Zeit arbeiten und verdient das Doppelte.“ So trat auch der Major der neuen Berufsvertretung Feuerwehr in der Gewerkschaft der Volkspolizei (GdVP) bei. Wie zu erfahren ist, soll von der 72köpfigen Stammbelegschaft der Friedrichshainer Löschkommandos überhaupt kaum noch jemand nicht in der Gewerkschaft sein.
Was man damit zunächst erreichen will? Der Sprecher Bernd Herold weiß es kurz und knapp zu sagen: „Dienstzeit muß runter, Kohle muß hoch.“ Und natürlich soll es auf allen Ostberliner Feuerwachen umgehend mehr Personalstellen geben. Das mittlerweile umunstrittene Langfristziel: „Eine schlagkräftige, einheitliche Berliner Berufsfeuerwehr.“ Direkt in Kontakt mit ihren Westberliner Feuerwehrkollegen kamen die Floriansjünger vom Friedrichshain erstmals in der Silvesternacht am Brandenburger Tor. Bei dem gemischten Premiere-Einsatz fanden die Männer des Kommandos auch den Toten, der nach dem Gerüsteinsturz auf dem Mittelstreifen des Boulevards Unter den Linden liegenblieb. Eine nicht ganz unkomplizierte Bergungsaktion: „Noch zwei Tage danach mußten wir aus den Reifenprofilen unserer Fahrzeuge händeweise Flaschenscherben raussammeln.“
Grundstock der Friedrichshainer Feuerwehr ist ein kompletter Löschzug. Brennt es im Stadtbezirk, rückt sofort ein sogenanntes Vorausfahrzeug mit Ersteinsatz- und Atemschutzgeräten, ein Löschfahrzeug sowie ein Tanklöschfahrzeug aus. Die Besatzung: Eine sogenannte taktische Einheit von 13 Mann in olivgrüner Kluft. Anders als die Westberliner setzt man dabei alles auf einen konzentrierten Löscheinsatz. Damit beim Soforteinsatz nichts schief geht, gibt es in der Leitstelle eine Ausrückdatei mit Stichworten: Betrieb, Wohnhochhaus, Menschen in Gefahr usw. Betriebe, die gegebenenfalls vor dem Raub der Flammen zu schützen sind, gibt es dabei reichlich: Eine Liste in der Alarmzentrale der Friedrichshainer Feuerwehr an der Babeufstraße reicht vom Glühlampenwerk Narva über das Centrum-Warenhaus am Hauptbahnhof bis zum örtlichen Krankenhaus. Nur die Losung im Aufgang zu den Mannschaftsräumen klingt etwas antiquiert: „Wir schützen, was des Volkes Hände schaffen“, heißt es auf einer riesigen Tafel mit DDR-Wappen.
thok
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