Viel Bürokratie um wenig Arbeitsplätze

■ Die „Sonderkommission für Arbeitsplätze in Berlin“ tagte gestern zum zweiten Mal / Vorgestellt wurde ein „Programm 90“, das alle bisherigen Förderungsprogramme straffen und zusammenfassen soll / 19.500 der 100.000 Arbeitslosen bekommen ihre Chance

Gestern tagte die „Sonderkommission für Arbeitsplätze“ unter Leitung des Regierenden Bürgermeisters Momper zum zweiten Mal seit ihrem Bestehen.

Die Kommission wurde vor einem Jahr gegründet, weil man sich in den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und AL auf ein gemeinsames Beschäftigungsprogramm nicht hatte einigen können. Der Sonderkommission gehören Vertreter der Kammern, der Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Wissenschaftsinstitutionen und VertreterInnen der Selbstverwaltungswirtschaft an. Insgesamt also 24 Institutionen und Senatsverwaltungen.

Weil es unter den Beteiligten schon bei der Gründung Kontroversen über ein gemeinsames konzeptionelles Arbeitsprogramm gab, wurden bald Unterkommissionen und diverse Arbeitsgruppen gebildet. Sie sollten Entscheidungsvorlagen für die „Sonderkommission“ produzieren.

Von Anfang an gab es in der „Sonderkommission“ eine Arbeitsteilung zwischen der Unterkommission „Wirtschafts und Strukturpolitik“, die dem Senator für Wirtschaft, Peter Mitzscherling, zuarbeitet, und der Unterkommission „Qualifizierung und Arbeitsmarktpolitik“, die der Senator für Arbeit, Verkehr und Betriebe, Horst Wagner, leitet. Das ist viel Bürokratie für ein Projekt, das bisher kaum in die Gänge kam. Die erste Sitzung fand ausgerechnet am 9. November statt, und das Fazit war, daß durch die Entwicklung in der DDR wohl bald eine neue Situation auf dem Arbeitsmarkt eintreten wird. Jetzt, bei der zweiten Sitzung, wurde diese Prognose bestätigt.

Der Berliner Senat erwartet bei der angestrebten Währungseinheit in beiden deutschen Staaten einen Zustrom von Arbeitssuchenden aus der DDR. Für eine Übergangszeit sei daher mit einem großen „Druck auf den Arbeitsmarkt“ in Berlin zu rechnen, erklärte Walter Momper gestern im Reichstag. Der Senat will deshalb mit einem neuen Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm auf den erwarteten Zustrom reagieren und gleichzeitig der weiterhin hohen Arbeitslosigkeit in der Stadt entgegenwirken.

Aufgrund der Belastungen, die auf die Stadt zukommen werden, ist Berlin daher auf eine besondere finanzielle Unterstützung des Bundes angewiesen. An der Berlin-Förderung darf nicht gerüttelt werden, denn mittelfristig wird der Standortnachteil bleiben, die Umorientierung auf eine Dienstleistungsmetropole wird seine Zeit dauern.

Wagner betonte, daß es nach Öffnung der Grenzen keine isolierte Arbeitsmarktpolitik in West-Berlin geben kann. Er verwies auf Untersuchungen des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“, die eine künftige Arbeitslosenzahl von 1,2 bis 1,4 Millionen in Aussicht stellen. Das entspricht einer Arbeitslosenzahl von 13 bis 17 Prozent, im Großraum Berlin wahrscheinlich sogar noch mehr.

Die Sonderkommission „Arbeitsplätze für Berlin“ hat deshalb ein Förderungsprogramm „Arbeit 90“ erarbeitet, in dem alle bereits vorhandenen Initiativen des Senats zusammengeführt, gestrafft und gebündelt werden. Laut Wagner können mit diesem Programm, das allerdings vom Senat noch beschlossen werden muß, 19.500 Personen qualifiziert und beschäftigt werden.

Ein Wermutstropfen ist allerdings, daß die bisherigen Fördermaßnahmen der Jahre 1988 und 1989 nur minimal weniger Personen umfaßte, nämlich 18.000, d.h. das Programm ist eine Aufstockung um rund 8 Prozent und umfaßt höchstens 20 Prozent aller Arbeitssuchenden. Noch sind fast 100.000 Personen in Berlin arbeitslos, eine Zahl die schon seit Jahren konstant ist. Senator Wagner schiebt das auf den starken Strom von Aus- und Übersiedlern zurück, der Arbeitslosenanteil beträgt bei dieser Personengruppe fast 19 Prozent.

Das Programm „Arbeit 90“ - Gesamtkosten wurden nicht genannt - beinhaltet eine Reihe von Einzelmaßnahmen: Im Bereich der beruflichen Bildung sollen bis zu 8.500 Personen gefördert werden. Unternehmen sollen Zuschüsse für für die Beschäftigung von 3.000 Personen erhalten. Bei Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeitslosen sollen durch Beschäftigungs und Qualifizierungsmaßnahmen bis zu 5.000 Personen geholfen werden. Für Modellmaßnahmen zur beruflichen Qualifizierung von Frauen sind 500 Fördermaßnahmen vorgesehen. Außerdem soll bis zu 300 Existenzgründungen von Arbeitslosen unter die Arme gegriffen werden.

Das „Programm 90“ umfaßt ebenfalls einen „Regionalfond für Arbeitsmarkt und Strukturpolitik für den Großraum Berlin“ in Höhe von 6 Millionen Mark. Hiermit sollen erste Anschubfinanzierungen für Projekte, wie z.B. die Instandsetzung von U-Bahnhöfen mit ABM-Maßnahmen, realisiert werden.

Diskutiert hat die Sonderkommission auch über ein von Senator Wagner in Auftrag gegebenes Gutachten zur Gründung einer „Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft“ (BQG).

Die BQG soll den Prozeß der Wiedereingliederung von Arbeitslosen durch eine Verkettung leistungsgerechter Fördermöglichkeiten effektivieren. Dazu gehört auch eine umfassende qualifikatorische Begleitung individueller Berufswege-Planung sowie eine umfassende soziale Betreuung. In Hamburg arbeitet eine vergleichbare Treuhandgesellschaft schon seit Jahren mit Erfolg.

Die Sonderkommission hat die Unterkommissionen beauftragt, darüber in den nächsten Monaten zu sprechen.

aku