Grüne in Hessen: Let's go, Deutschland

Landesversammlung verabschiedete in Fulda einen Leitantrag zur Deutschlandpolitik, der auch auf dem Bundesparteitag eingebracht werden soll / Gegen jede Zusammenarbeit der Grünen mit der PDS: Wer anderer Meinung ist, „soll die Partei verlassen“  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Fulda/Frankfurt (taz) - Evelin Schönhut-Keil vom Landesvorstand der hessischen Grünen gab sich zur Eröffnung des ordentlichen Landesparteitages ihrer Partei am Sonnabend in Fulda kämpferisch: Mit Blick auf die fundamentalistischen Wortführer in der Partei, die in der vergangenen Woche einer Zusammenarbeit der Grünen mit der PDS das Wort redeten, erklärte die resolute Vorstandsfrau, daß sich die Grünen ihre Utopien und Ideen nicht von einigen „durchgeknallten Leuten“ kaputtmachen lassen würden. Einen Weg mit der PDS werde es für die hessischen Grünen niemals geben. Und wer das nicht nachvollziehen könne, wer meine, deshalb bei den Grünen keine politische Heimat mehr zu haben, der möge die Partei verlassen, „und zwar schnell“, so Schönhut-Keil.

Da sich auf dem Parteitag selbst die Radikalökologen um Manfred Zieran und Jutta Ditfurth den PDS-Schuh nicht anziehen wollten, wurde in der anschließenden Deutschland -Debatte nichts so heiß gegessen, wie es von Schönhut-Keil vorher gekocht worden war. Joschka Fischer stellte nach dem gut dreistündigen verbalen Schlagabtausch im katholischen Kolpinghaus zufrieden fest, daß in Hessen keine Spaltung der Partei drohe und daß er sich freuen würde, wenn die „Fundis“ gerade in Hessen endlich zum politischen linken Flügel der Partei avancierten. Fischer war auch deshalb in bester Stimmung, weil der Parteitag zuvor den Leitantrag der Landtagsgruppe zur Deutschlandpolitik bei nur wenigen Gegenstimmen verabschiedet hatte. Derselbe Antrag soll auch auf der Bundesversammlung der Grünen in Hagen eingebracht werden. Tenor: Let's go, Deutschland - „für eine europäische Zukunft“.

Trotz des nur schwer zu kalkulierenden politischen Risikos, das eine „Sturzgeburt“ Deutschlands mit sich bringe, müßten die Grünen heute den demokratischen Wunsch der DDR -Bevölkerung nach Einheit akzeptieren, hatte Rupert von Plottnitz (MdL) in der Antragsbegründung erklärt. Wer jetzt weiter auf die Zweistaatlichkeit setze, den bestrafe die Geschichte tatsächlich, denn „an der Einheit führt kein Weg vorbei“. In dieser Situation müßten die Grünen zum Garanten für die europäische Zukunft Deutschlands werden - „gegen nationale und nationalistische Bestrebungen“.

In insgesamt fünf Kapiteln beschreibt der Leitantrag die Eckpfeiler der künftigen „gesamtdeutschen Demokratie“ im europäischen Rahmen. Zunächst gelte es im Rückblick auf die von Deutschen begangenen Völkermorde in einer neuen Verfassung die Demokratie- und Friedensverpflichtung der neuen deutschen Republik und die „Staatspflicht“ zur europäischen Einigung und zur Überführung des vereinigten Deutschlands in einen europäischen Bund festzuschreiben. Darüber hinaus erwachse dem neuen Deutschland eine besondere verfassungsrechtliche Verpflichtung zum Schutz von Minderheiten. In diesem Zusammenhang dürfe das Asylrecht nicht angetastet werden. Die altertümliche „Blut und Boden„ -Definition deutscher Staatsbürgerschaft müsse von einem modernen Verständnis von Staatsbürgerschaft abgelöst werden: „Jedes auf dem Territorium der deutschen Republik geborene Kind erhält ein Bleiberecht und die Möglichkeit, sich für die deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden.“ Der multikulturelle Charakter der deutschen Gesellschaft sei die elementare Garantie für ein demokratisches Gemeinwesen und ein Bollwerk gegen die Wiedergeburt eines engstirnigen Nationalismus.

Außen- und verteidigungspolitisch wenden sich die Grünen in Hessen gegen das Modell eines neutralen Deutschlands, denn damit würde die Ost-West-Konfrontation in der Mitte Europas fortbestehen. Es gehe aber jetzt um die Auflösung der Militärbündnisse Nato und Warschauer Pakt und deren Ersetzung durch eine auf „Abrüstung und Selbstbestimmungsrecht“ beruhende europäische Friedensordnung. Mit den durch die Abrüstung eingesparten Mitteln solle über einen europäischen Umweltfond der „ökologische Umbau in Ost- und Westeuropa“ finanziert werden.

Eine Zusammenarbeit der Grünen mit der PDS schließt der Leitantrag nachdrücklich aus: „Für die Grünen können politische Allianzen und Bündnisse nur mit solchen Gruppierungen und Parteien in der DDR in Betracht kommen, die den Umbruch im Herbst 1989 durchgesetzt haben, nicht aber mit den erklärten politischen Erben der früheren SED -Diktatur.“

Daß in der Schlußabstimmung gut 90 Prozent der anwesenden knapp 200 Parteimitglieder diesem Leitantrag zu einer satten Mehrheit verhalfen, werteten die Realpolitiker als Zeichen für den Willen zum „Aufbruch“ und zur „Rückgewinnung der Handlungsfähigkeit in der Deutschlandpolitik“. Die letzten Fundamentalisten des Landesverbandes, die „gegen den Zeitgeist“ (Zieran), gegen den „Anschluß“ der DDR fochten, scheiterten mit ihrem Antrag auf Unterstützung einer für den Mai geplanten Demonstration gegen den „Koloß Deutschland“ (Tuckfeld).