„Wohne Boston, gleich links“

■ Arbeit und ein Platz zum Träumen: Christiane Hartzig über Migrantinnen im 19. und frühen 20.Jh.

Daß so viele gekommen sind?! Die Referentin kann es nicht fassen. „Viele“ - das sind nach und nach 20 Frauen, die sich für „Migrantinnen im 19. und 20. Jh.“ interessieren und mal sagen sollen, warum. Warum? Weil, sagt eine, sie sich nicht mehr für

Männer in der Geschichte interessiert. Wir Restlichen lassen unsere Absichten im Dunkeln und sind schlicht bereit, uns „auf was Historisches einzulassen“. Christiane Hartzig, Historikerin, scheint Kummer gewöhnt zu sein mit ihrem Forschungsfeld, das sie

schon seit zehn Jahren bestellt. Dabei geht es um nichts Spannenderes als um die Tatsache, daß auch DeutschInnen einmal Ein-bzw. Auswanderer waren und ungebetene Gäste in fremden Kulturen, die sich mit ihrem Fremdsein befassen mußten - eine Nach-Hilfe also möglicherweise für uns FrauenwöchnerInnen, konfrontiert mit dem diesjährigen Thema „Rassismus/Sexismus“, mal an die eigene Nasenwurzel zu fassen; und zu lernen, daß historische Migration und Immigration nicht damit beginnen, vom Boot zu steigen und an Land und mit Tschüssagen zu Hause.

Die Tatsache, daß zwischen 1840 und 1930 allein aus Deutschland ca. 2 Millionen Frauen in die USA auswandern, wird lebendige Geschichte, weil Christiane Hartzig die Frauen aus dem Grab der Statistik holt und Menschen macht aus jenen, die eine gewaltige Zäsur ihres Lebens zu bewältigen hatten: die ihren Hausrat auflösten und zu Geld machten; die vier bis sechs Wochen auf Segelschiffen die Reise ins Ungewisse antreten und sich selbst verpflegen mußten (schnellere Dampfschiffe gab's erst ab 1860), - ein Wahnsinn, diese Menge haltbarer Lebensmittel zu organisieren, was übrigens Bremen, einer der größten Auswandererhäfen, schon 1832 im 1. Auswandererschutzgesetz

verbot. Und wenn die Frauen ankamen, mußten sie, die meist Familien zu versorgen hatten, sich sofort auf die völlig anderen Ernährungsgewohnheiten umstellen, Kleidung herstellen, Äcker bewirtschaften oder Heimarbeit suchen, wo sie dann vielleicht künstliche Blumen herstellten für die Hüte der Amerikanerinnen. Um nur ein paar Facetten aus der „Froschaugenperspektive“ zu nennen.

Ab 1880 wandern verstärkt auch Single-Woman in die USA aus, von denen die meisten sich als Dienstmädchen verdingen können - die deutschen Mädchen gelten dabei als der Inbegriff von sauber und arbeitssam, was eine zwar schüttelt, aber nicht zu ändern ist - immerhin fanden viele Frauen dadurch Arbeit, im Gegensatz zur Alten Welt und ihrer Bevölkerungsexplosion. Und: Die meisten MigrantInnen installierten oder fanden feste Communities vor mit sehr geregeltem Vereinsleben. Was die „zentrale Message“ der Historikerin ist: Sie unterlagen durchaus ähnlichen Vorurteilen und Stereotypen wie heute Migrantinnen bei uns. Und wir lernen, daß der enge Zusammenhalt der ethnischen Gruppen in der Fremde nicht die Assimilierung erschwert, sondern ein Rückhalt ist, der ein angstfreies Aufeinanderzugehen erst ermöglicht. clak