: Cui bono?
Zum „Stasi-Verdacht“ gegen Böhme und andere ■ K O M M E N T A R E
Das erste demokratisch gewählte Parlament der DDR hat sich noch nicht konstituiert, da wird seine Legitimität bereits durch eine Welle von Verdächtigungen in Frage gestellt. Anders als im Fall des Wolfgang Schnur wird die Hinweislage
-von „Beweislage“ kann man gar nicht sprechen - immer dünner. Auch bei aufmerksamer Lektüre des neuesten 'Spiegel‘ über die angeblichen Verwicklungen des Ibrahim Böhme, drängt sich ein anderer Verdacht auf: daß die 'Spiegel' -Journalisten diesmal von Ex-Stasi-Mitarbeitern geleimt worden sind, die wissen, wie anfällig die Rechercheure des größten deutschen Nachrichtenmagazins für solche Stories sind. Alle dort genannten Informationen können ebenso gut von dem auf Böhme angesetzten Spitzel stammen, keine setzt seine aktive Kollaboration voraus. Die Rache der ehemals Mächtigen an denjenigen, die sie damals nicht „gekriegt“ haben und denen sie schließlich weichen mußten, kann dabei mit der Angst und dem alles durchdringenden Mißtrauen rechnen, die ihr Ministerium über Jahrzehnte systematisch produziert hat. Die Geschwätzigkeit mancher mit der Auflösung der „Stasi“ beauftragten Bürger und die Sensationsgier westlicher Magazine tun ein übriges.
Gewiß können die Zweifel wegen angeblicher Zuarbeit eines großen Teiles der Mandatsträger für die Staatssicherheit nur durch eine Überprüfung aller Abgeordneten beseitigt werden. Die Entscheidung darüber der künftigen Volkskammer zu überlassen, respektiert die Rechte ihrer Mitglieder an „informationeller Selbstbestimmung“. Allerdings sollten die Fraktionen schon jetzt ihre Unterstützung für die Einrichtung eines Volkskammeruntersuchungsausschusses signalisieren und die einzelnen Abgeordneten aufgefordert werden, zur Einsicht in ihre jeweiligen Akten ihre Zustimmung zu geben.
Abgesehen von diesen notwendigen Maßnahmen sollte man sich allerdings fragen, wem - außer ehemaligen Stasi-Mitarbeitern - diese Kampagne nutzt. Das ist leicht zu beantworten, wenn man etwa in der gestrigen 'Welt‘ liest, wie Enno von Löwenstern unter Krokodilstränen argumentiert, die DDR -Bürger könnten zu dem Schluß kommen, nur ein sofortiger, bedingungsloser Anschluß an die Bundesrepublik - „Augen zu und durch zur Wiedervereinigung“ - bringe „garantiert Unbelastete an die Spitze“ und „die Modrows“ auf „die Anklagebank“. Die DDR braucht jetzt im Interesse ihrer Bürger eine handlungsfähige Regierung und ein selbstbewußtes Parlament. Der undifferenzierte und flächendeckende Spitzelverdacht steht dem im Wege. Wem nützt das?
Walter Süß
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