: Veraltete Brücken, Gleisbruch, Verspätungen...
■ Das Eisenbahnsystem in der DDR ist am Ende / 260 Milliarden für Verkehr nötig
Berlin (taz) - Über sieben Brücken mußt du geh'n - ordnete die alte Weise aus der Feder eines DDR-Komponisten an. Ob derlei Empfehlung heute noch verantwortungsvoll ist, muß allerdings stark bezweifelt weden. Zumindest bei den Eisenbahnbrückenb der Noch-Republik sollte man es sich dreimal überlegen. Die nächste könnte die letzte sein.
Von den 8.200 Brücken des Reichsbahnnetzes sind nicht weniger als 3.500 älter als 85 Jahre, „ohne saß sie jemals grundlegend renoviert worden wären“, stellt das „Institut der Deutschen Wirtschaft“ (IW, Köln) in einer Analyse der Infrastruktur des DDR-Verkehrswesens fest. Die Folge: „33 Prozent der Einsenbahbrücken sind nur noch beschränkt befahrbar“. Zudem sind die Gleiskörper aller Orten Geschwindigkeits- und Achslastbeschränkungen, die zu regelmäßigen Verspätungen führen, und auf der Strecke Dresden-Leipzig durchschnittlich nur noch 60 km/h zulassen. Aber auch das konnte nicht verhindern, daß 1987 9.200mal Schienenbruch gemeldet wurde.
Die Begründung, die das unternehmernahe IW für den Auflösungsprozeß des Schienennetzes angibt, hört sich allerdings denkwürdig an: „Sie ist das Resultat einer falschen verkehrspolitischen Entscheidung“ - soweit wäre sie noch einleuchtend, wenn es nicht im nächsten Satz hieße: „Aus energie- und devisenpolitischen Gründen wurde der Deutschen Reichsbahn oberste Priorität unter den Verkehrszweigen eingeräumt“ - sprich Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert. Das Problem ist also eher darin zu suchen, daß die Investitionen nicht der grundsätzlich richtigen verkehrspolitischen Entscheidung in genügendem Maße folgten, mehr mit der Bahn zu transportieren, das Netz ist total überlastet. Die Verkehrsteilung in der DDR entwickelte sich daher gegenläufig zu der in der Bundesrepublik. Auf einem halb so großen Verkehrsnetz - über weite Strecken eingleisig und nur selten elektrifiziert wird in der DDR die gleiche Güterverkehrsleistung wie in der Bundesrepublik abgewickelt. In der DDR läuft der Güterverkehr zu 70 Prozent auf der Schiene, in der Bundesrepublik ganze 22,7 Prozent. Allerdings wird in der Bundesrepublik 20 Prozent über die Binnenschiffahrt transportiert, in der DDR nur 3,2.
Schlaglöcher
Der Zustand der Straßen ist allerdings auch völlig unbefiedigend. Der quantitative Rückstand gegenüber der Bundesreopublik (etwa die Hälfte an Straßenkilometer pro Fläche) wäre dabei sicher noch am ehesten zu verkraften. Das erhöhte Aufkommen an Schlaglöchern jedoch, das jeder automobile DDR-Besucher kennt, läßt sich auch statistisch erfassen. Das IW hat ermittelt, daß für Straßenreparaturen in der zweiten Hälfte der 70er Jahre noch 600.000 Tonnen Bitumen abgefüllt wurden, während es seit Beginn der 80er Jahre nur mehr 50.000 Tonnen sind.
Dramatisches dürfte sich auf den Straßen nach einem grenzenlosen innerdeutschen Verkehr abspielen. Zunehmen wird nicht nur die Anzahl der Fahrzeuge, sondern vor allem deren Gewicht. Während der klassische Laster der DDR ein Fünftonner ist, donnern in der Bundesrepublik LKWs und Sattelzüge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 40 Tonnen über die Straßen. Das IW geht auch davon aus, daß „die dirigistische Verkehrslenkung zugunsten der Eisenbahn in Zukunft nicht aufrechterhalten werden kann. Es wird somit im Güterverkehr zueiner Rückverlagerung von der Schiene auf die Straße kommen.“
Wie auch immer: Es lang hinten und vorne nicht. Das offenbar autofreundliche IW hat jedenfalls unter Berücksichtigung von Größe und Bevölkerungsdichte des Landes einen Investitionsbedarf im Verkehrswesen in Höhe von rund 260 Milliarden Mark ausgemacht. Davon entfielen 58 Milliarden auf die Bahn und 238 auf das Straßennetz. Auch die Ankündigung von Bundesverkehrsminister Zimmermann, die westdeutschen Tiefbauer könnten binnen dreier Jahre ein modernes Autobahnnetz durchs Land ziehen, zeigt die derzeit herrschende Denkrichtung.
Ulli Kulke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen