piwik no script img

EINSAM HINTER DER KAMERA

■ „Turkana Conversations“ von Judith & David MacDougall im Haus der Kulturen der Welt

In gewisser Hinsicht ist die Existenz der Turkana Conversations Idi Amin zu verdanken, denn eigentlich wollten Judith und David MacDougall einen Film über die Jie, einem Hirtenvolk in Nordost-Uganda drehen. Doch als die Guggenheimstiftung und das National Endowment for the Humanities endlich das nötige Geld bewilligten, hatte Uganda für solche Projekte die Bereitschaft zur Kooperation aufgekündigt. Deswegen suchten die Filmemacher im Nachbarland Kenia nach Verwandten der Jie und fanden die Turkana. Bei diesem Ausweichmanöver entstand eine Trilogie, mit der sich die revolutionierten Methoden des amerikanischen „direct cinema“ endgültig Zutritt zum ethnographischen Film verschafften.

Für den Dokumentarfilm markieren die frühen 60er Jahre eine Epochengrenze, vergleichbar mit der Einführung der „talkies“ im Spielfilmbereich. Die damals frisch erfundene Handkamera und der Synchronton ermöglichten Arbeitsweisen, die die Dokumentaristen auf ganz neue Ideen brachten. Während in Frankreich damals mit Jean Rouch eine eher gesellig -interaktive Schule begründet wurde (das „cinema verite“ das wahre Kino der Lügen), zogen die englischsprachigen Filmemacher die distanziertere Teilnahme am Geschehen vor: die Beobachtung. Charakteristisch für das „direct cinema“ ist, daß die Gefilmten als Menschen-wie-du-und-ich auf der Leinwand präsentiert werden, oft in Alltagssituationen. Als besonders gelungen gilt es, wenn die Anwesenheit der Kamera in den aufgezeichneten Gesprächen und Aktivitäten keine Rolle mehr spielt, nicht weiter beachtet wird. Faustregel: Je mehr Zeit die Filmemacher mit ihren Darstellern verbringen (Wochen und Monate!), um so glaubhafter erscheint im fertigen Film diese letztlich sehr einsame, „sich selbst verleugnende Tendenz... Ich möchte behaupten, daß Leute sich manchmal natürlicher verhalten, wenn sie gefilmt werden, als wenn ein gewöhnlicher Beobachter anwesend ist. Ein Mann mit einer Kamera hat offensichtlich eine Arbeit zu tun; d.h. zu filmen. Seine Darsteller verstehen das und überlassen es ihm. Er bleibt beschäftigt, halb versteckt hinter seinem Apparat, zufrieden darüber, daß man ihn in Ruhe läßt. Als unbeschäftigter Besucher müßte er wie ein Gast oder Freund unterhalten werden. Darin liegt, denke ich, sowohl die Stärke als auch die Schwäche der beobachtenden Methode.“ (D. MacDougall)

Diese Überlegungen enthüllen die irgendwie falsche Sehnsucht der MacDougalls nach der verlorenen Einheit von Unschuld & Kamera, erklären aber zugleich die sympathisch -schüchterne Grundstimmung ihrer Filme. Die Turkana Conversations unterscheiden sich wohltuend von hinterhältiger 'Geo'-Folklore und dem weitverbreiteten Ambiente-Journalismus, der die Reisen abenteuerlich gesinnter Fernsehredakteure finanziert.

Zur Trilogie gehören Lorang's Way, The Wedding Camels und A Wife among Wives, sämtlich 1973/74 gedreht, aber erst wesentlich später montiert. In allen drei Filmen spielen Lorang und seine Angehörigen die Hauptrollen. In Lorang's Way, einem Porträt des intellektuellen Familienoberhaupts, erfolgte das „casting“ wohl auch im Hinblick auf das (westliche) Publikum. Lorang hat einige Zeit außerhalb seiner Gesellschaft gelebt und ist deswegen, wie die MacDougalls, ein Mittler zwischen den Kulturen. Wenn er, singend-erzählend, über das Leben und die ungewisse Zukunft der Turkana philosophiert, versteht der zivilisationsgebeutelte Zuschauer seine Befürchtungen vielleicht besser als mancher seiner eigenen Leute. Trotzdem verweigert der Film den Eindruck, als ließe sich die Weisheit der Turkana bequem in Form eines komprimierten Essays aneignen. Die Bilder von Lorang und seinem Dorf, von den Menschen und ihren Gewohnheiten, von heißem Staub und ostafrikanischem Licht, werden von keinem allwissenden Kommentator begleitet: Sie müssen ohne eingängig-sonore Interpretationen gesehen und entziffert werden.

Die MacDougalls versuchen auf mancherlei Art die Entfernungen im Beziehungsdreieck Filmemacher -Ethnographierte-Zuschauer zu verringern. Näher an die Position des Feldforschers und seine von Zufällen gesteuerte Wahrnehmung wird das Publikum durch die Kamerabewegungen und die mosaikartige Montage der Filme „herangeführt“. Statt eine durchgehende, lineare Geschichte zu erfinden, ordnen die MacDougalls ihr Material kapitelweise an. Die jeweiligen Titel werden auf Schrifttafeln eingeblendet, durch deren Lektüre die Personen vorgestellt, Hinweise auf inzwischen vergangene Zeit gegeben werden usw.

Das distanzverkürzende Verfahren gelingt überzeugend in The Wedding Camels. Anders als bei uns wird bei den Turkana die Eheschließung nicht als ein Akt der Liebesbezeugung mißverstanden, sondern als ein politischer, wirtschaftlicher und sozialer Vertrag von höchster Wichtigkeit ausgehandelt. In diesem Film geht es um Lorangs Tochter Akai, die mit dem gleichaltrigen Freund ihres Vaters verheiratet werden soll. Die komplizierten Verhandlungen drehen sich um das Vieh (Ziegen, Rinder, Kamele), das Lorang für seine Tochter bekommen muß; um die Verteilung der Brautgabe unter den Verwandten, die Gefühle der Brautmutter, um das neu herzustellende psychologische Gleichgewicht zwischen dem Bräutigam und Lorang usw. „Wir planten so etwas wie eine dokumentarische Version von Rashomon zu drehen“ (MacDougall). Tatsächlich verweisen die verschiedenen Facetten und Aspekte der Eheschließung auf immer neue, mögliche Bedeutungsebenen des Rituals, anstatt verbissen nach der einen einzigen zu suchen.

Daß bei aller Ernsthaftigkeit der Zeremonie den Turkana der Sinn für Humor nicht verloren geht, beweisen vor allem Braut und Bräutigam. Als die schöne mit unzähligen Perlenketten und einem Hochzeitsgürtel geschmückte Akai gefragt wird, ob ihr Kongu als Ehemann nicht zu alt sei, antwortet sie lachend, daß sie ja jederzeit mit einem anderen Geliebten durchbrennen und in den Bergen leben könne. Und als Kongu zum Schluß des Films den Ausgang der Verhandlungen kommentiert, versteht man die Ironie seiner Worte auch ohne die Untertitel.

Der dritte Teil des Zyklus A wife among wives beschäftigt sich mit weiblicher Psyche und Polygamie, unter anderem aus der Perspektive von Lorangs Seniorfrau Arwoto. Am Samstag ist dann das Aurukun-Projekt zu sehen. In diesem Fall geht es um australische Aborigines, die wegen ihrer anspielungsreich-indirekten Kommunikationsweise die MacDougalls dazu brachten, ihre eigenen, bei den Turkana Conversations erarbeiteten Prinzipien und Methoden in Frage zu stellen bzw. vor dem Hintergrund einer völlig anderen Kultur weiterzuentwickeln.

Dorothee Wenner

Heute, 18 Uhr: Lorang's Way (OF); 19.30 Uhr: The Wedding Camels (OF); 21.30 Uhr: A Wife among Wives (OF). Morgen, 18 Uhr: To live with herds (OF); 20.00 Uhr: „Aurukun-Projekt“ (engl. Kommentar/OF). Alle Filme im Haus der Kulturen der Welt in der Reihe „Das Bild fremder Kulturen im Film“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen