: Von einer Krise zur nächsten
■ Zwischenfälle im Kaukasus / Verhandlungen in Litauen gehen weiter / Gorbatschow hält sich raus
Berlin (taz/dpa/adn) - Gerade ist Litauen einigermaßen unter Kontrolle, da regen sich schon die nächsten Konflikte.
Im Kaukasus hat sich die Lage in den letzten Tagen wieder dramatisch zugespitzt. Am Mittwoch schloß Aserbaidschan seine Grenze zu Armenien und forderte ein Eingreifen Gorbatschows. Der Chef der Truppen des sowjetischen Innenministeriums, General Schatalin, reiste am selben Tag in die Krisenregion. Es habe bewaffnete Auseinandersetzungen gegeben, hieß es, und Truppenverstärkungen seien vorgenommen worden. Die 'Komsomolskaja Pravda‘ berichtete am Freitag, es habe an der Grenze zwischen Armenien und der zu Aserbaidschan gehörenden ASSR Nachitschewan Tote und Verwundete gegeben. Eine sowjetische Truppeneinheit in Armenien ist nach Moskauer Angaben von Unbekannten überfallen und entwaffnet worden.
In Estland gehen die Vorbereitungen zur Unabhängigkeit weiter. Am Donnerstag wurde Arnold Rüütel zum Parlamentspräsidenten gewählt; er kündigte an, daß der Oberste Sowjet einen estnischen Ministerpräsidenten bestimmen und eine Erklärung zu Litauen verabschieden werde. Wie das weitere Vorgehen dann aussieht, hängt nach den Worten des Interfront-Sprechers Eugen Pjas davon ab, wer der Ministerpräsident ist. Als aussichtsreichste Bewerber gelten der bisherige Amtsinhaber Iodrek Toome und der Volksfront -Vorsitzende Edgar Savisaar. Am Donnerstag wurde jedenfalls die Unabhängigkeit noch nicht ausgerufen. Lediglich eine „Änderung staatlicher Symbole“ habe stattgefunden, meldete TASS.
In Litauen herrscht inzwischen wieder der Verbalkrieg. Der Generalsekretär der moskautreuen KP, Schwed, erklärte, die Republik sei „unregierbar“ geworden und meinte, „eine direkte Präsidentschaftsregierung durch Gorbatschow könnte erforderlich werden“. Landsbergis wies den Moskauer Vorschlag eines Referendums über die Unabhängigkeit zurück und behauptete, ein Referendum könne es nur über einen möglichen Eintritt in die UdSSR geben, da Litauen schon unabhängig sei. Unterdessen forderte das Moskauer Verteidigungsministerium dazu auf, „Provokateuren und Aufwieglern Widerstand zu leisten“. Sajudis habe die Aufstellung einer Landwehr nicht eingestellt, kritisierte Moskau. Nach den Worten des Außenministeriumssprechers Gerassimov gibt es auch keinen Grund, die Ereignisse in und um Litauen neu zu bewerten.
Die Gespräche zwischen Militär und der litauischen Regierung werden unterdessen fortgesetzt. In der Frage der Deserteure schlug die sowjetische Armee vor, freiwillige Rückkehrer nicht zu bestrafen. Gorbatschow hält sich aus den Verhandlungen heraus. Vilnius meldete, ein Versuch der stellvertretenden Ministerpräsidentin Prunskiene, direkt mit ihm zu telefonieren, sei von ihm aus prinzipiellen Gründen abgelehnt worden.
D.J.
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