piwik no script img

Schmerzhafte Begegnungen

■ Radlerunfälle sind nicht nur bedauerlich bis schrecklich, sondern verhärten auch die Fronten zwischen Rad- und Autofahrern. Aber sind wirklich immer nur "die anderen" schuld?

Schmerzhafte Begegnungen

Radlerunfälle sind nicht nur bedauerlich bis schrecklich, sondern verhärten auch die Fronten zwischen Rad- und Autofahrern. Aber sind wirklich immer nur „die anderen“ schuld?

THOMAS KNAUF ging dieser Frage nach.

ieser Idiot! Gerade hatte der Kutscher des BVG-Doppeldeckers noch überholt, nun, in Sichtweite der Haltestelle, zieht er seinen „Großen Gelben“ urplötzlich wieder scharf nach rechts. Natürlich ohne einen Blick in den Rückspiegel! Der verbleibende Spalt auf der Busspur zwischen der vorbeiwischenden Wagenbreitseite und dem Kühler des letzten Falschparkers verengt sich bedrohlich zu einer Handbreite Scheiße. Doch wieder mal Glück gehabt! Die neuen Felgenbremsklötze greifen zwar auch nicht mehr rechtzeitig genug. Wozu aber ist ein deplaziert abgestellter, vergammelter alter „Lada“ nicht noch alles gut: Blitzschnell schwinge ich den rechten Fuß vom Pedal auf seine vordere rechte Stoßstange, lehne mich mitsamt dem kostbaren Hollandrad Marke Kaufhaus halb über die rettende Motorhaube: So bleibt es bei einem jener berühmten Beinahe-Unfälle, die in keiner Radfahrer-Unfallstatistik auftauchen.

Schuld sind ohnehin immer die anderen: Nehmt nur den Szenetypen, der mir ein anderes Mal in Kreuzberg den Lampenscheinwerfer aus der Fassung riß. Auch so ein Beinahe -Unfall. Kommt abends aus dem U-Bahnhof Gneisenaustraße geschlurft, sieht sich beim Überqueren der Fahrbahn vom Mittelstreifen her noch um und trottet dann blindlings schräg über den Radweg. Das Klingeln der Chinaglocke hört er erst, nachdem wir uns schon fast in den Armen liegen.

Individuelle und deshalb schwerlich zu verallgemeinernde Erfahrungen eines (noch) radelnden taz-Reporters, gewiß, gewiß. Gemessen an der Unfallstatistik müssen derartige Begegnungen der gefährlichen Art in West-Berlin jedenfalls gerade unter dem rot-grünen Senat enorm zugenommen haben. Laut Angaben des Statistischen Landesamtes erhöhte sich die Zahl der zu Schaden gekommenen Radfahrer so bereits in den ersten zehn Monaten des Jahres 1988 gegenüber der Vergleichsperiode des Vorjahres um stolze 18,2 Prozent. Von Januar bis Oktober 1988 erlitten allein 2.692 RadlerInnen nach Stürzen oder Zusammenstößen leichtere Blessuren von der Schramme bis hin zur größeren Hautabschürfung, die ambulant behandelt werden mußten. Im gesamten letzten Jahr verunglückten darüber hinaus acht RadfahrerInnen tödlich.

atsächlich sind an ungefähr der Hälfte der tödlichen Radlerunfälle des letzten Jahres auch nicht „immer nur die anderen“, sondern zumindest zum Teil die Betroffenen selbst schuld. Womit wir endgültig beim Thema wären. Den Unterlagen des polizeilichen Dezernats Straßenverkehr zufolge mißachteten allein zwei der Verunglückten die Vorfahrt. Ein Mann kam zu Tode, als er mit seinem Drahtesel sturzbesoffen in den fließenden Verkehr einfahren wollte. Einen weiteren Radfahrer erwischte es bei dem Versuch, sich mang den wartenden Fahrzeugen hindurchzuschlängeln. Er geriet zwischen eine LKW-Zugmaschine und den Hänger. Schließlich starb ein Radler ganz ohne sogenannte Fremdeinwirkung. Der Mann stürzte beim Überfahren einer wohl ziemlich hohen Gehwegkante. Der Eindruck des zuständigen Polizeidirektors Klaus Krüger: „Auffällig ist, daß die Hälfte der Unfälle bei Dunkelheit geschahen. Das berührt also das Problem der Sichtbarkeit von Radfahrern.“ Im Klartext: Leute, wenn Ihr im Finstern losstrampelt, schaltet wenigstens Euer Licht an! Wem schweißtreibende Dynamos ein Greuel sind, der kann diese je nach Fabrikat mehr oder weniger wirkungsarme Stromquelle auch durch einen Akku ersetzen.

it zu den häufigsten Ursachen der von Radlern verschuldeten Unfälle zählt die Polizei schon seit Jahren die Mißachtung von rot leuchtenden Ampeln. Eine zweite unfallträchtige Rüpelei soll das schon erwähnte „unachtsame Einfahren in den fließenden Verkehr“ sein. Krüger dazu: „Die Radfahrer schießen zwischen parkenden Autos plötzlich auf die Fahrbahn.“ Nicht zuletzt sei eine ausgeprägte „Umwegfeindlichkeit“ der Zweiradfahrer ausschlaggebend für viele Unfälle - sprich: das Fahren auf Gehwegen und in Fußgängerzonen sowie in Einbahnstraßen und auf Radwegen entgegen der Fahrtrichtung.

In diesem Zusammenhang qualifizierte der Polizeimann gerade die fröhlich-anarchistische Umwidmung von Einbahn- zu Zweibahnstraßen als „kreuzgefährlich“. Krüger: „Wenn da ein separater Radweg ist, habe ich ja nichts dagegen. Bloß, diese Bedingung wird bei Beispielen aus anderen Städten immer freundlich übersehen.“ Ein Standpunkt, über den sich gewiß trefflich streiten ließe. Obschon: „Wenn beispielsweise statt auf der Fahrbahn oder auf Radwegen auf Gehsteigen gefahren wird, deute ich das auch so ein bißchen als eigenes Sicherheitsbedürfnis.“

Eine bessere Alternative für unsichere Radler wußte dagegen die Vorsitzende des Berliner ADFC, Uta Wobit: „Radfahrer sollten nicht zu dicht an Autos vorbeifahren und zur Sicherheit eine ganze Fahrspur in Anspruch nehmen. Dann muß der Autofahrer sie auch anständig überholen.“ Ferner müßte den Veloeignern gestattet sein, sich an ampelgeregelten Kreuzungen vor den Autos aufzustellen. Frau Wobit: „Das nennt man in Holland und auch in Österreich 'aufgeblasene‘ Radwege.“ Ja, warum soll unsereins am rechten Fleck nicht auch einmal „aufgeblasen“ daherkommen, wenn's nur die städtischen Krankenhaus-Notaufnahmen entlastet?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen