: 1:2 - Lektion in Demokratie?
Völlig unvorbereitet sehen die LohnempfängerInnen sich in einem existentiellen Konflikt ■ K O M M E N T A R
Übers Wochenende hat die Bonner CDU-Politik in der jungen Demokratie der DDR viel Porzellan zerschlagen. Bundeskanzler Kohl hat auf den großen Wahlkundgebungen außerhalb Berlins Hoffnung verbreitet und damit den Wählerstimmen-Umschwung herbeigeredet, aber seine Masche war populistisch banal. Denn gleichzeitig hat er in der Bundesrepublik erklärt, Steuererhöhungen für die deutsche Einheit stünden nicht an. Da die finanzpolitischen Zusammenhänge höchst kompliziert sind, konnte das im Wahlkampf-Getümmel durchgehen.
In der Bundesrepublik breitet sich Genugtuung darüber aus, daß es der Kanzler geschafft hat, die Kosten für den Anschluß der DDR zu drücken. Bezahlen für den billigen Trick wird neben der Bevölkerung der DDR vor allem die dortige CDU, die ihre Stimmen letztlich stellvertretend für Kohl bekommen hat und sich um die Währungsunion nicht weiter gekümmert hatte.
Schon gibt es Versuche, die große Volks-Verdummung fortzusetzen. Der von der CDU für den Wirtschaftsminister favorisierte Weinpanscher Pieroth will die Lohnsenkung damit wegreden, daß er auf den Teuerungs-Ausgleich hinweist. Immerhin: Es soll nicht so sein, daß die Löhne auf die Hälfte heruntergehen und das Brot ohne Ausgleich 5 Mark das Kilo kostet.
Mit harten Worten fordert die Bonner FDP, den Spar-Betrag für den 1:1-Tausch zu erhöhen. Die provozierend niedrige Obergrenze von 2.000 Mark scheint gerade als Feld für Schein -Gefechte vorbereitet. Nichts gegen eine Obergrenze von 4.000 Mark - es geht aber um die monatliche Lohntüte.
Die alten Gewerkschaften haben noch nie auf einem freien Markt gekämpft. Die gewendeten SED-PDS-Strukturen werden kaum in der Lage sein, sich als glaubwürdige Interessenvertreter zu etablieren. Die BRD-Gewerkschaften werden mit großem Getöse Erklärungen auffahren und dann, wenn es zum Schwur kommt, auf ihre Mitglieder Rücksicht nehmen, die nicht zahlen wollen für ihre Brüder und Schwestern. Am Ende bitterer Niederlagen wird die Erkenntnis stehen, daß die Politik im Kapitalismus mit Moral nichts zu tun hat. Daß Kohls kurzsichtiges Parteiinteresse der CDU schadet, ist nur gerecht. Aber Kohl hat auf dem jungen Pflänzchen der Demokratie in der DDR herumgetrampelt wie ein Elefant im Blumengarten. Neue Strukturen betrieblicher Interessenvertretung sind erst im Wachsen, völlig unvorbereitet werden die Lohnempfänger der DDR in einen existentiellen Konflikt gezwungen.
Klaus Wolschner
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