: Mit Tschinderassabum gegen die Erinnerung
Die chinesischen Machthaber fürchten die Wiederkehr des „Pekinger Frühlings“ / Vor ihnen liegt eine Zitterpartie um den Frieden an den bevorstehenden Totengedenktagen / Mit Kinder- und Polizeipatrouillen sollen Protestversammlungen am Tianamen unterbunden werden ■ Von Boris Gregor
Peking (taz) - Die Pioniere marschierten in Siebenerreihen im Gleichschritt auf den Platz und sangen „Wir lernen vom guten Beispiel Lei Fengs“ (dem chinesischen Mustersoldaten) und: „Wir schützen das sozialistische China.“ Das rote Tuch der Partei hatten sie um den Hals gewunden, die gelbe Schülermütze mit der Aufschrift „Sicherheit“ keck auf den Kopf gesetzt. Das Motto auf den Kappen der Kleinen ist eigentlich eine Mahnung, im Straßenverkehr gut aufzupassen doch bekam der Schriftzug in lateinischen Buchstaben eine besondere Bedeutung: „Sicherheit“ war auf dem Platz des Himmlischen Friedens und Umgebung oberstes Gebot.
Aus Furcht, Studenten könnten der über Telefax nach Peking gelangten Aufforderung folgen und zu einem Protest -„Spaziergang“ über den Platz aufbrechen, hatten die Behörden den Aufmarsch der Schüler anberaumt und das Zentrum des Reiches der Mitte für normales Publikum gesperrt - eine elegante Lösung der Genossen, den Zugang zum Schauplatz der Studentenproteste und ihrer brutalen Niederschlagung am 4. Juni zu verwehren, ohne die Angst vor Demonstrationen eingestehen zu müssen.
Touristen aus den Provinzen mußten hinter den Reihen der bewaffneten Polizei, einer paramilitärischen Truppe, verharrren, was sie freilich nicht hinderte, stolz und ernst für das eine oder andere Foto zu posieren.
Unter die Angereisten und die Pekinger, die sich trotz der Warnung der Regierung, den Platz in den nächsten Tagen nicht zu besuchen, hatte sich die Staatsmacht gemischt: Uniformierte, ausgerüstet mit Walkie-talkies und Gummiknüppeln, sowie die Beamten des „Sicherheitsbüros“, mit kleinen Kopfhörern im Ohr und in jene Staubmäntel gehüllt, die solche Behörden autoritärer Staaten offenkundig überall in der Welt für besonders unauffällig halten. In der unmittelbaren Nähe des Platzes waren blau-weiße Streifenwagen, Jeeps und Feuerwehren - vermutlich als Wasserwerferersatz - aufgefahren, Uniformierten in Stahlhelmen patrouillierten wie zu Zeiten des Ausnahmezustandes auf Motorrädern.
Vor dem Geschichts- und Revolutionsmuseum, das seit dem Pekinger Frühling im vorigen Jahr nicht mehr der Volksbildung, sondern der Polizeit als Unterkunft dient, erschollen vormittags rauhe Schreie: Eine Kompanie der grün gekleideten Ordnungstruppe probte in synchronen, fast tänzerischen Bewegungen den Nahkampf - eine Machtdemonstration, die wohl jeder der Spaziergänger begriff.
Fragt sich nur, ob die Genossen in den nächsten Wochen das Pionier-Schauspiel mit Tschinderassabumm und Losungen an der Heldensäule („Von den Vorbildern lernen, alles für die Asienspiele tun“) wiederholen werden, dessen offiziellen Anlaß selbst Beamte am Tianamen-Platz nicht kannten. Denn die heiklen Daten, an denen es zu Protesten kommen könnte, mehren sich: am 5.April etwa, dem traditionellen Totengedenktag „Ging Ming“. Es ist auch jenes Datum, an dem es 1976 zu später gewaltsam unterdrückten Demonstrationen für den verstorbenen Ministerpräsidenten Tschou Enlai gekommen war.
Erhöhte Alarmbereitschaft der Sicherheitsbehörden dürfte auch am 15. April, dem Todestag des ehemaligen Parteiches Hu Yaobang, herrschen. Im vorigen Jahr tauchten zu dieser Zeit die ersten kritischen Wandzeitungen an der Pekinger Universität auf. Anlaß, den Platz unter welchem Vorwand auch immer zu sperren, wäre außerdem der 4.Mai, Jahrestag der ersten Studentendemonstration für mehr Demokratie in China im Jahre 1919. Der Höhepunkt der Zitterpartie für die Genossen findet schließlich genau einen Monat später statt: das Tianamen-Massaker jährt sich zum ersten Mal.
Ob es Studenten bei der offenkundigen Allmacht des Staates wagen werden, auf die Straße zu gehen, bleibt offen. Allerdings: Im September finden die Asienspiele in Peking statt - eine Chance, die auf Prestige bedachte Führung in Verlegenheit zu bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen