: Die neofaschistische Karriere des Josef S.
Josef Saller aus Schwandorf, 20 Jahre alt: In vier Jahren vom Interesse an der Geschichte des Dritten Reiches zum Brandstifter ■ Aus Amberg Bernd Siegler
Seit drei Tagen steht der 20jährige Josef Saller in Amberg vor Gericht. Er soll den Tod von vier Menschen verursacht haben, indem er in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1988 ein überwiegend von türkischen Familen bewohntes Haus in der Schwandorfer Innenstadt in Brand gesteckt hat. Zum Zeitpunkt der Tat war Josef Saller 19 Jahre alt. Während im Jugendgerichtshilfebericht dem Autolackiererlehrling „gewisse Reiferückstände“ bescheinigt werden, der Psychologe des Regensburger Gefängnisses ihn gar „seelisch als kindlichen Jugendlichen“ bezeichnet, geht der Erlangener Psychiater Rolf Baer in seinem Gutachten davon aus, daß bei Saller weder Retardierungen noch andere seelische Störungen vorliegen. Er bejaht die volle Schuldfähigkeit für den Aktivisten der neonazistischen „Nationalistischen Front“ (NF).
Josef Saller wächst in „kleinbürgerlichem Milieu“ (Gutachten) auf. Sein Vater arbeitet als Elektroniker bei der Deutschen Bundesbahn, seine Mutter ist Hausfrau. Die Familie wohnt in einer kleinen Dreizimmerwohnung. Sohn Josef muß sein Zimmer mit seiner eineinhalb Jahre älteren Schwester teilen. Sein Vater ist oft längere Zeit auswärts beschäftigt, die Erziehung ist Sache der Mutter. Josef wird oft von seinem Vater geschlagen, er fühlt sich ungerecht behandelt, muß sich unterordnen und geht dem Vater bis heute aus dem Weg. „Er hat gelernt, Autoritäten zu akzeptieren“, schreiben die Gutachter. Josef Saller stolz über sich selbst: „Ich habe gelernt, mich unter Kontrolle zu halten.“
Seit seinem 14. Lebensjahr interessiert sich der Jugendliche für die Geschichte des Nationalsozialismus und des Dritten Reiches. Er versucht schon damals, erste Kontakte zur NPD zu knüpfen. Dies mißlingt. Ein Jahr später erhält er von einem Klassenkameraden die rechtsradikale Zeitschrift 'Klartext‘, vormals Organ der „Jungen Nationaldemokraten“ heute der „Nationalistischen Front“. Saller wird Mitglied der „Klartext-Redaktionsgemeinschaft“, im Sommer 1985 auch des Freundeskreises der NPD. Zu der Zeit besucht er die 8. Klasse der Hauptschule und erhält von dort zwei an die Eltern gerichtete Mitteilungen wegen „brutaler Mißhandlung von Mitschülern“. Im Abschlußzeugnis wird ihm „ausgeprägtes Pflichtbewußtsein“ bescheinigt.
Im Januar 1986 verteilt Saller in Schwandorf ein aus dem 'Klartext‘ entnommenes Flugblatt unter dem Motto „KommunismusMassenmord“. Ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Presserecht stellt die Staatsanwaltschaft ein. Er habe die Tat aus „persönlicher Verärgerung“ begangen. Kurz danach wird Saller Mitglied bei der militanten ausländerfeindlichen NF. Im Sommer nimmt er an einem Skinhead-Treffen in Northeim bei Göttingen teil (Motto: „Zum Raufen, Saufen und Spaß machen“), im Herbst beobachten ihn Zivilpolizisten beim Kleben von NPD-Wahlplakaten. Saller dazu später: „Ich war nur Handwerker, ausführendes Organ.“ Anfang 1987 versucht Saller Fuß zu fassen bei einer Schwandorfer Skinhead-Gruppe und ist etwa vier Monate dabei. Er verteilt Anstecker der NF und versorgt die 14 bis 16 Jahre alten Jugendlichen mit Aufklebern („Deutschland den Deutschen“) und den Zeitschriften 'Klartext‘ und 'Nation Europa‘. Sie jagen Punks und Türken und kleiden sich mit schwarzen Bomberjacken und Springerstiefeln. Saller ist zusätzlich mit einem Baseballschläger ausgerüstet. „Nur zur Verteidigung“, betonen seine ehemaligen Kameraden heute vor Gericht. Sven Grewe, ein mit Saller befreundeter Skinhead aus Lüneburg, weiß es besser. „Das ist eine Waffe“, erklärt er im Zeugenstand mit einem breiten Grinsen. Mit der schlage man auf den Kopf oder in die Kniekehlen und „manchmal geht da schon einer tot“. Wer damit gemeint ist, ist für alle in der Gruppe klar: die Ausländer. „Wir waren alle gegen die Ausländer“, sagt der heute 18jährige Maurer Markus Schindler und zählt die Gründe auf: „Die passen nicht zu uns, die sind anders, nehmen uns Arbeitsplätze und Wohnungen weg und werden immer mehr.“ Doch bald gerät Saller, der regelmäßig Propagandamaterial von NF und FAP („Freiheitliche Arbeiterpartei“) bezieht, bei der Gruppe ins Abseits. Er will mehr. Er will den Skins das Rauchen und Saufen verbieten und eine „NF-Zelle“ gründen. „Er wollte uns nationalsozialistisch bilden und eine Art Wehrsportgruppe aufbauen, die später mit Gewalt gegen Ausländer, Punks und Linke vorgeht“, beschreibt der 17jährige Andreas Stumm Sallers Ambitionen. Er habe die Sprüche vom „Ausländer raushauen“ ernst gemeint. Auch seine Eltern wissen Bescheid. Mutter Roswitha ist bekannt, daß „mein Josef keine Ausländer mag“, sein Vater hält die politische Einstellung seines Sohnes für einen „Krampf“, will aber nicht eingreifen.
Es kommt zum Bruch mit der Gruppe. Kurz vorher wird Saller wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Anfang 1988 intensiviert er seine Kontakte zur NF und seine Aktivitäten. Er bearbeitet Sympathisantenadressen, fährt mehrmals nach Bielefeld zu Schulungen und Treffen. Später werden bei ihm Adressen von militanten Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet gefunden. Saller notiert sich die Kennzeichen von Fahrzeugen, die türkischen Staatsangehörigen gehören, er interessiert sich für die rechtsradikale „Taunusfront“ in Hofheim und die FAP. „Ich mache das, was mir Spaß macht, das ist doch normal“, lautet seine Lebensphilosophie. „Ich hätte gerne bei der Bundeswehr eine Einzelkämpferausbildung gemacht“, erzählt er später den Gutachtern. Wegen eines Augenleidens wird er jedoch ausgemustert. Eine Freundin hätte er auch schon gerne gehabt. Aber das sei verdammt schwer, „angesichts der Emanzipation der Frau“. Am 26. November 1988 fällt er wegen seiner Sieg-Heil-Rufe im Münchener Olympiastadion der Polizei auf. Zwei Wochen später nimmt er am NF -Bundesparteitag in Bielefeld teil. Sechs Tage darauf klebt er an ein überwiegend von türkischen Familien bewohntes Haus den Aufkleber „Türken raus“. Dann, so sein inzwischen widerrufenes Geständnis, sei ihm in der gleichen Nacht der Gedanke gekommen, „noch irgendwo zu zündeln“. Er wollte „Ausländer ärgern“ und entzündete Kartons im hölzernen Treppenhaus in der Schwandorfer Schwaigerstraße. Wenn er sich etwas vornimmt, dann zieht er es auch durch, beschreibt ihn seine Schwester.
Dem Gefängnis ist Saller, der gelernt hat, zu prügeln und geprügelt zu werden, ein „bequemer Gefangener“. Er versteht die Haft „als Prüfung“. Seine Eltern besuchen ihn nicht, sie wissen nicht was sie mit ihm reden sollen. Wenn Josef Saller wieder auf freiem Fuß ist, will er seine rumäniendeutsche Brieffreundin, die er noch nie gesehen hat, heiraten und sieben Kinder zeugen.
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