Gute Adresse für Hersteller, Datenfreaks und Hacker

■ CeBIT '90 Spätlese / Weltgrößte Kommunikations- und Computermesse war Ende März in Hannover 4 000 Firmen stellten aus / Hier wird vor allem repräsentiert

Was ein kleiner Computer mit einem großen Programm kann, vermag auch ein großer Computer mit einem kleinen Programm. Daraus ergibt sich die logische Schlußfolgerung, daß ein unendlich großes Programm allein, das heißt ohne jeden Computer, arbeiten kann.“ (St. Lem: Professor A. Donda. Aus den Memoiren des Ijon Tichy)

Vor gut zwei Jahrzehnten hat Stanislaw Lem die Äquivalenz von Masse und Information (analog der von Masse und Energie Emc2) zum Gegenstand einer seiner Geschichten aus den Memoiren des Ijon Tichy gemacht und vom Untergang der Zivilisation als Zerplatzen aller von der Menschheit elektronisch gesammelter Information in eine Handvoll Atome erzählt.

Daß dieses nicht Utopie sondern nur groteske Übertreibung des vorausschauenden Autors auf ernster Grundlage war, wußten hierzulande Datenfreaks und auch Leute, die sich professionell der elektronischen Datenverarbeitung hingaben, eigentlich nur aus dem Fernsehen und aus „spezieller Forschungsliteratur“ in Bibliotheken, von den um die Sicherheit des DDR-Teils der Zivilisation, von der und deren Untergang hier die Rede geht, bekümmerten Genossen vielleicht abgesehen. Diese sollen ja die großen Rechnerteile auch gegen COCOM-Verbote importiert haben, was zu glauben nicht leicht ist, wenn man den Fernsehbildern aus der Normannenstraße Glauben schenkt.

Die Menschheit produziert längst für einzelne nicht mehr überschaubare Datenmengen, die weltweit verteilt und bewegt werden. Wissen heißt heute, zu wissen, wo was steht, oder jemanden/etwas zu kennen, der/das weiß wo was steht. Informationsübertragung und Telekommunikation geschieht vorwiegend automatisch mittels hochgezüchteter Elektronik. Ökonomische Basis und Symbol dieser „Informationalisierung“ sind unbestritten Computertechnologie und -technik, und deren Entwicklung in jüngster Zeit rechnet sich in größeren Kategorien als Megachip.

Überwältigend deutlich zeigt das die Ende März in Hannover zu besuchende weltgrößte Telekommunikations- und Computermesse CeBIT, deren halbe Million Gäste der Stadt jährlich einen urbanen Schock verabreichen. Auf 266.758 m2 in 18 überfußballfeldgroße Hallen aufgeteilter Ausstellungsfläche warben über 4 000 Firmen für ihren Teil vom Datenverarbeitungs- und Telekommunikationsgeschäft, konsequenterweise in diesem Jahr mit interessiertem Blick nach Osten, was die 20.000 Besucher aus dieser Gegend Europas rechtfertigen.

Eines der ersten deutsch-deutschen Joint ventures ist das „Zentrum für Forschung und Technologie“ Dresden und Düsseldorf, das aus dem ehemaligen NVA-Forschunszentrum entstanden ist. Zumindest mangelwirtschaftlich entstandene Technologie könnten die NVA-Nachfolger gut verkaufen, immerhin waren Recycling-Methoden für Farbbandkassetten von Druckern eine ökologische Messepremiere ...

Auf der CeBIT anwesend zu sein, ist für jeden Hersteller von Namen unabdingbar, hier werden nicht nur wichtige Verträge geschlossen, sondern hier wird vor allem repräsentiert: der Konkurrenz, dem endverbrauchenden Publikum und der Presse als dem entscheidenden Faktor dazwischen. Welch große Bedeutung Presse und CeBIT füreinander haben, mag vielleicht daran zu ermessen sein, daß in diesem Jahr doppelt so viele Journalisten in Hannover akkreditiert waren wie zur Volkskammerwahl in Berlin, nämlich 6.000.

Was auf der CeBIT an Technologie gezeigt wird, greift bei der Anwendung in alle Schichten gesellschaftlicher Strukturen. Ohne High-Tech-Kommunikation ist kein multinationales Management möglich. Handel geschieht als Datenübertragung in weltumspannenden Netzen, deren Komplexität unberechenbare Folgen haben kann: Der schwarze Freitag von 1988 war letztendlich ein Rückkopplungseffekt in der Kommunikation der Börsencomputer untereinander.

Fernsehen und Rundfunk sind wesentlich meinungsmachend und wichtiger Bestandteil der Konsum- und Massenkultur und somit staatstragend dort, wo zur Behauptung der Demokratie die Meinungsmache der Ausübung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung die Waage halten muß.

Die sogenannte westliche Welt zeigt sich damit sowohl unter kulturellem als auch unter ökonomischem Aspekt als informationsmonopolistischer Imperialismus. Daß sie dadurch auch Gefahren ausgesetzt ist, die nicht voraussehbar und also integrierbar sind, die also tatsächlich revolutionäres Potential besitzen, zeigen die hin und wieder auftretenden Katastrophen wie der erwähnte Börsenkrach oder eklatante Sicherheitslücken in Datenkommunikationssystemen, die zum Beispiel 1987 durch den Einbruch in weltweit 170 Großrechner bekannt gemacht wurden, was als NASA-Hack unter dem Medienmanagement des Chaos Computer Club in die Geschichte einging.

Für die Hacker und Datenfreaks aus dem Dunstkreis des CCC ist die CeBIT ebenfalls die gute Adresse. Mit viel Phantasie und Geschwätz kann man durchaus das eine oder andere Stück Hardware „abziehen“. Vor fünf Jahren ist so der erste Btx -Decoder zum CCC gelangt (Die Nummer mit dem grauen Kittel und der geschäftigen Miene: „Äh, sind Sie jetzt soweit, dann kann ich ja mit dem Einpacken anfangen ...). Traditionell trifft man sich dann am Dienstag um 16 Uhr am Stand des Datenübertragungsmonopols Post, wo aus alter Freundschaft und Hilflosigkeit Getränke bereit stehen.

Heutzutage interessieren sich die Hacker weniger für die spektakulären Hacks als vielmehr für die Etablierung einer alternativen Kommunikationskultur, alternativ sowohl zu den traditionellen Medien als auch zur kommerziellen Nutzung der neuen Kommunikationsmittel. Wichtige Strategie ist die sogenannte offene Vernetzung, was ganz einfach die für jeden Bürger zugängliche Datenkommunikation bedeutet. Im ZERBERUS -Netzwerk zum Beispiel tauschen mehr als 100 elektronische Mailboxen in der Bundesrepublik und in Berlin ihre Daten täglich aus. Dadurch ist den Nutzern und Betreibern der Mailboxen der überregionale Dialog und Diskurs möglich. Nicht umsonst hatten einige Mailboxbetreiber auf der Messe eigene Stände im Zentrum „Chancen 2000“.

Steffen Meschkat