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„Wir haben im Interesse der Leute gearbeitet“

■ Steffen S., ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, rechtfertigt mit ungelenken Worten sein früheres Tun / Ein Tonbandprotokoll in gekürzter Fassung als Dokument der Verdrängung und Geschichtsverbiegung / Der Wasserwerfer als staatliches Organ, dem nichts getan werden darf

„Ich bin 1963 geboren, also 26 Jahre alt. Zehn Jahre allgemeinbildende Oberschule, dann zwei Jahre Baufacharbeiter, vorzeitig abgeschlossen, drei Jahre Wachregiment. Das Wachregiment Berlin war das Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Und ich wurde dort auf drei Jahre als Unteroffizier auf Zeit ausgebildet. Unser Aufgabengebiet war, Mitarbeiter zu werben oder Reisekader zu bestätigen (Ermittlungen in Betrieben und Wohngebieten). Wenn von den Leuten gedacht wurde, wir wollen sie bespitzeln - das war uns wurscht.

Jetzt wird gefordert: Wir wollen Öffentlichkeit, wer waren die Mitarbeiter? Wir haben uns immer gefragt, warum sagt denn keiner, woran gearbeitet wird. Dann hätte man gesehen, das MfS bestand nicht nur aus Bespitzeln. Es gab ja auch ein MfS, das sich mit Kaderarbeit beschäftigt hat, wo ich ja selber herkomme, das täglich Voraussetzungen schafft für die Sicherheit in der Produktion. Selbst das Hotel Metropol war ein komplettes MfS-Objekt. Das weiß keiner, weil das nicht veröffentlicht wurde. Aber wenn man mal die Kellner fragt, die waren beim MfS angestellt. Aber das ist Diplomatenschutz, das ist einfach erforderlich. Man kann ein Hotel, wo Diplomaten absteigen, nicht als kommerzielles Objekt gelten lassen. Deswegen wird das gemacht, aber diese Seiten des MfS werden nie aufgedeckt. Wir haben wirklich im Interesse der Leute gearbeitet.

Beispiel Oktoberereignisse. Es heißt, die Leute durften nicht mal alleine auf Toilette gehen. Wenn man einen Beschuldigten hat, darf ihm in Polizeigewahrsam nichts passieren, darf er kein Diebesgut verstecken können, Beweismaterial - also wird die Türe offengelassen, das ist Polizeitaktik. Das ist zur Absicherung der Polizei. Das wissen die Leute nicht, so kommt Anarchie auf. Das Vorgehen auf Toiletten, Stellen an die Wand und so weiter - das sind alles Vorschriften im Interesse der Verhafteten und im Interesse derjenigen, die die Verhafteten beaufsichtigen, damit sowas nicht vorkommt wie Schlagen.

Wenn ich mir vorstelle, daß die Polizisten, die da draußen waren, auch mit Steinen beworfen worden sind, daß Polizistinnen bedroht wurden und so weiter, dann kriege ich einen Rochus. Es ist klar, wenn ich dann losgelassen worden wäre, dann hätte ich auch nicht gefragt. Jeden, der gekommen wäre und wo ich einen Auftrag gehabt hätte, hätte ich zugeführt. Ich wäre nicht human gewesen, ich hätte den gesetzlichen Rahmen voll ausgenutzt, also Handschellen - die nicht sein müssen, aber gesetzlich zulässig sind - , alles mögliche... Die Leute, die das durchführen mußten, wurden psychologisch vorbereitet. Sind ja keine Anfänger. Dann ist's ein leichtes, diesen Befehl auszuführen. Man glaubt an die Sache.

Ich würde sagen, der 7. Oktober wäre anders verlaufen, wenn man sich auf moderne Taktik besonnen hätte, die an der Uni schon gelehrt wird. Man muß besänftigen, anhören, mit den Massen reden.

Begonnen bei der Technik: Die Polizisten sind mit Neun -Millimeter-Pistolen ausgerüstet. Wissen Sie, welche Wunden die schlagen? Die Westberliner haben keine mehr Neun -Millimeter mehr. Bei uns gibt's keine Hartgummigeschosse, bei uns gibt's kein Tränengas, es gibt Schlagstöcke, die darf er aber nicht einsetzen. Wenn ein Schlagstock wegkommt, kann derjenige sich warmmachen. Ich stehe in der Polizeikette, jetzt kommt das Volk an. Was machen? Frauen und Kinder vorneweg. Zurückbleiben darf man nicht. Wir haben zwar Pistolen, die wenden wir sowieso nicht an, selbst wenn wir müßten, weil wir genau wissen, was da passiert. Anwendung von Schußwaffen ist das letzte Mittel. Oberflächenwunden schlagen mit Hartgummi oder Weichmacher... Man kann auch einen Wasserwerfer hinstellen, ist ja nichts Schlimmes. Der ist aber ohne Wasserfüllung. Das ist ein staatliches Organ, dem darf nichts getan werden. Wenn sie sich daran vergreifen oder ein Gebäude stürmen, dann kann ich auch den Wasserwerfer einsetzen.

Am Tag der Demo in der Normannenstraße waren 30 Polizeikräfte zur Absicherung des gesamten Objektes eingesetzt. Das war lächerlich. Da ist keine Polizeitaktik angewandt worden.

Wir waren ganz schön auf Widerstand eingerichtet, vom Wachregiment speziell. Ich war ja drei Jahre dort. Es gab genug Möglichkeiten, aber sie wurden nicht angewendet. Das beweist, daß wir keine Securitate waren.

Andererseits: Im MfS sind zivilisierte Leute gewesen. Die wenigsten konnten mit Waffen umgehen, die wenigsten haben in repressiven Organen gearbeitet. Es gab viel mehr, was zu tun war. Staatsschutz, Spionage, Sicherheitstechniken wie integrierte Sicherheit. Von vornherein schon Sicherheit aufbauen, nicht im Nachhinein aufklären.

Dann gab's einige Umstände, die wirklich nicht in Ordnung waren, wie zum Beispiel: Die Hauptabteilungsleiter hatten vier PKWs zur Verfügung, dann gab's in der Orankestraße einen Laden für Führungskader. War zwar Diskussionspunkt unter den Kollegen, aber es konnte niemand was dagegen tun. Manche haben sich geschämt, dort einzukaufen. Ich kenn‘ die Bohley nicht. Ich habe diesen Vorgang nicht bearbeitet. Aber man hört so einiges: Die hatte wirklich Verbindung zum Westen, richtig und so. Man erhielt nur „graue“ Informationen, Gerüchte. Ich kann mich in sie nicht reinversetzen, weil ich über sie nichts weiß. Bloß die Leute sind ja damals im Januar '88 freiwillig zur Luxemburg-Demo gegangen und haben dieses Banner aufgerollt, eine spektakuläre Aktion gemacht, ohne dafür den Boden vorzubereiten. Im Endeffekt war es doch so: Demonstranten mit Plakaten, die nicht hingehörten, wurden abgedeckt, und das haben wir als Fakt so genommen. Die Ordnung und Sicherheit, die für uns stand, die mußte gewährleistet werden. Da gab's keine Fragen. Inwieweit die Demonstranten ins Ausland verschickt wurden, Studienaufenthalt, Bohley und so, - da würde ich mich nicht festlegen wollen.

Aber Demonstranten wurden nicht eingeknastet. Das ist falsch. Sie wurden für 24 Stunden vorläufig festgenommen. Unsere Zeitungen haben „Einknasten“ daraus gemacht. Nach 24 Stunden waren die wieder auf freiem Fuß - soweit ich weiß. Das wurde auch vom MfS nie öffentlich gesagt. Im Oktober, als das alles hochkam, haben wir uns gefragt, warum sagt das MfS nicht mal, wie es wirklich war...“

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