: US-Linke zwischen Optimismus und Ohnmacht
Am Wochenende trafen sich 3.000 Linke in New York, um in 150 Workshops der Frage nachzugehen, welche neuen Perspektiven sich aus den osteuropäischen Entwicklungen auch für die USA ergeben / Neue Chancen für eine dritte Partei? ■ Aus New York Rolf Paasch
„Mit dem Sozialismus ist es wie mit dem Perrier -Mineralwasser: beide sind im internationalen Rahmen vorübergehend vom Markt.“ Barbara Ehrenreich von den „Demokratischen Sozialisten Amerikas“ (DSA) hatte im Auditorium des „Manhattan Community College“ die Lacher auf ihrer Seite. Selbstkritik ist „in“ - auch unter den Linken der USA. Während das Rest-Amerika im Siegestaumel das endgültige Ende des Sozialismus feiert, waren an der Südspitze Manhattans im Schatten des „World Trade Centers“ an diesem Aprilwochenende 3.000 Linke zusammengekommen, um die Reste progressiven Gedankenguts zu retten - und vielleicht gar neue Ideen für die Praxis nach dem kalten Krieg zu entwickeln. „Aber für Theorien“, sagt einer, „sind dies keine guten Zeiten“.
Zum vierten Mal hatte die akademische „Socialist Scholars Conference“ linke LehrstuhlinhaberInnen und progressive Politicos aus aller Welt sowie amerikanische AktivistenInnen nach New York geladen. Zwei Tage lang sollte es in 150 Workshops um die „Zukunft des Sozialismus nach dem Ende des kalten Krieges“ gehen. Und schon bald hatte sich zwischen den dichtbestellten Büchertischen im Foyer und den Seminarräumen im 4. Geschoß ein trotziger Optimismus breitgemacht. „Kurzfristig“, so befürchtet Joanne Barkan von den DSA, „wird es noch schwieriger werden, den Amerikanern zu erklären, daß wir mit unserem Sozialismus etwas anderes meinen, als das, was in Osteuropa jetzt zusammengebrochen ist.“ Längerfristig hofft die Rednerin allerdings auf eine „befreiende Wirkung“ der Ereignisse in Osteuropa auf linkes Selbstverständnis. Gorbatschow habe auch dem Sektierertum der US-Linken die Basis genommen.
Gleich nebenan, in Raum 440, scheint sich diese These bereits zu bewahrheiten. In einer selbstbekennenden Tour de force distanziert sich Irwin Silber, Mitherausgeber der radikalen Zeitschrift 'Frontline‘ von 25 Jahren Marxismus -Leninismus. Das Blockdenken, dem er und die Seinen verhaftet waren, sei allzu simplizistisch gewesen, sagt er heute, die Voraussagen über die revolutionären Bewegungen in der Dritten Welt zu optimistisch. Die Idee der „Vorhut“ sei tot, und auch daheim könne die „Massenbewegung“ nicht weiter erfunden werden. „Meint der das jetzt wirklich ernst?“ meinte eine Frau skeptisch, während einige ältere Semester aus der „Communist Party“ über soviel Selbstkritik sichtbar geschockt schienen.
Auch für die Vertreter des Sozialismus in der Dritten Welt sind harte Zeiten angebrochen. Auf der Veranstaltung „Mittelamerika und die Demokratische Revolution“ sorgten die Podiumsbeiträge für Unmut im Publikum. Als Paul Berman, der für die New Yorker Wochenzeitung 'Village Voice‘ über Nicaragua berichtete, die These aufstellte, die Sandinisten hätten in den letzten Jahren möglicherweise gegen die Mehrheit der Bevölkerung regiert, wurde ihm vorgeworfen, „CIA-Sympathisant“ zu sein.
Das zweitägige Treffen glich einem linken Supermarkt, in dem häufig die Theorien von gestern an der Praxis von heute gemessen wurden. Paul Sweezy, der gealterte Doyen der fallenden Profitrate, sprach zum Sozialismus in der Dritten Welt; ins linke Lager übergelaufene Ex-CIA-Mitarbeiter spekulierten über die Zukunft von „Covered Operations“ und Drogenkrieg, jetzt, wo die Politik militärischer Interventionen (trotz Panama) durch subtilere Formen des US -Imperialismus abgelöst wird; und schwarze Akademiker dozierten einer neuen Aktivisten-Generation über die immer noch zeitgemäßen Lehren des Malcolm X. Am anderen Ende des Korridors drängten sich unterdessen mehrere hundert TeilnehmerInnen in den Vorlesungssaal, wo - nur einen Steinwurf von der Wall Street entfernt - über den Kollaps des Finanzsystems spekuliert wurde.
Nach Dekaden unerfüllter Untergangsszenarien ist nun auch die Linke vorsichtiger geworden. Beinahe bewundernd referierten Harry Magdoff vom unverwüstlichen 'Monthly Review‘ und Janet Bush von der 'Financial Times‘ über die Fähigkeit der Finanzmärkte, der Krise immer neue profitable Aspekte abzugewinnen. Amerikas Linke ist erst einmal neugierig, will von den eingeladenen EuropäerInnen über die Ereignisse in Osteuropa und die Weiterentwicklung westeuropäischer Sozialdemokratien informiert werden. „Was uns vom Sozialismus bleibt“, so Robin Blackburn vom Londoner 'New Left Review‘, „sind die Probleme, auf die wir keine Antwort gefunden haben“. Und auf die USA bezogen stellte der fast zynische Realismus Irwin Silbers die Situation noch einmal klar. „Der Unterschied zwischen Europa und den USA ist, daß man uns hier alle zusammenwerfen kann und wir Linke immer noch eine Sekte bleiben. Wir können uns gegenseitig an den Kopf werfen, was wir wollen, ohne die geringste Wirkung zu haben.“
So war es am Ende wieder die Frage nach dem Einfluß, der Alternative zwischen der Mitarbeit in der Demokratischen Partei und der Gründung einer dritten Partei, welche viele US-TeilnehmerInnen beschäftigte. Für Bernie Sanders, der im Bundesstaat Vermont im Herbst als unabhängiger Sozialist für einen Sitz im Repräsentantenhaus kandidiert, muß die progressive Bewegung außerhalb der Demokratischen Partei bleiben, will sie nicht an den Rand gedrängt werden: „Zehn Prozent für eine dritte Partei würden mehr erreichen als eine Nominierung Jesse Jacksons zum demokratischen Präsidentschaftsbewerber.“ Jim Schoch, Ex-DSA-Direktor, zog daraus eine ganz andere Schlußfolgerung: „Ich weiß, daß der politische Aktivismus innerhalb der Demokratischen Partei eine schlechte Alternative darstellt. So schlecht, daß mir nur noch ein Weg schlimmer erscheint: die Gründung einer dritten Partei.“ An der Ratlosigkeit der US-Linken, wie die politischen Erfolge der vielen Einzelbewegungen endlich in eine nationale Präsenz verwandelt werden können, scheint auch die Befreiung von stalinistischen Altlasten nur wenig zu ändern.
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