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Parteien und Bürgerkomitees im demokratischen Umbruch

Die politischen Kräfteverhältnisse und das Parteiensystem in der Noch-DDR mit den Zuständen in anderen Ländern des ehemaligen sowjetischen Hegemonialbereichs vergleichen zu wollen, erscheint auf den ersten Blick nutzlos, bei genauerem Hinsehen aber als durchaus instruktiv. Zwar sind es vor allem die Besonderheiten der jeweiligen nationalen Entwicklung, die nach dem Ende der realsozialistischen Zwangsintegration die „Rückkehr“ jedes einzelnen dieser Staaten nach Europa bestimmen werden. Aber über vierzig Jahre des Auf-, Um- und Abbaus ziemlich ähnlicher politischer Strukturen (Machtmonopol der KPs, demokratischer Zentralismus) bringen eben auch gemeinsame Konstellationen hervor. Dabei ist interessant, was an die Stelle des sich auflösenden politischen „Überbaus“, speziell des Ein -Parteien- bzw. Blockparteiensystems tritt. Wird das westliche Spektrum übernommen? Fallen die Länder auf die Parteienlandschaft der Zwischenkriegszeit zurück, die sie gegebenenfalls „modernisieren“? Oder können die gesellschaftlichen Bewegungen, die den Parteistaat bekämpften und ihn schließlich stürzten, erfolgreich aufs politische Terrain überwechseln und historisch vollkommen neue Organisationsformen begründen?

Wenn man sich die Situation an Hand schroffer Gegensätzlichkeit klarmachen will, vergleicht man am besten die polnische Entwicklung mit der in der DDR. Die Krise des Gierek-Regimes (1970-1980) rief eine Opposition auf den Plan, die die Idee eines „erneuerten“ Marxismus bereits hinter sich gelassen hatte. Nicht eine humanistisch gewendete kommunistische Partei, sondern die Gewerkschaft Solidarnosc wurde seit 1980 zum Motor der Entwicklung. Sie war von vorneherein Interessenvertretung der Werktätigen und politische Bewegung. Dieser Doppelcharakter wurde institutionalisiert, als nach dem Kompromiß des Runden Tisches von 1989 neben der wiederzugelassenen Gewerkschaft das Bürgerkomitee Solidarnosc an den Wahlen teilnahm und sie gewann. Überraschenderweise hat die Konstruktion bis jetzt gehalten, obwohl sich der Gegner, d.h. der monopolistische Parteistaat mittlerweile zersetzt hat und das Komitee die Regierung beherrscht. Parteineugründungen wie die konservativ-nationalistische KPN oder die Christlich -Sozialen haben bislang das Komitee nicht sprengen können. Erst jetzt, nach Gründung verschiedener Bauernparteien, wird seine Basis dünner.

Neben einer gemeinsamen Generationenerfahrung - dem Widerstand in den 70er Jahren - liegt der Grund für den Zusammenhalt der Solidarnosc-Aktivisten in der ideologischen Verbindung von christlicher Soziallehre, liberalem Menschenrechtsdenken, einer starken Identifikation mit „der Gesellschaft“ als Vereinigung aller unabhängigen Initiativen und einer Reihe nationaler Mythen.

Schwache

Selbstorganisation

Im Gegensatz zu Polen hat der „humanistische“ Sozialismus in der DDR keine Chance gehabt, Hoffnungen zu wecken und sie anschließend zu frustrieren. Zwar verloren nach der Niederschlagung des Prager Frühlings viele demokratische Linke in der DDR jede Hoffnung auf Reform von oben. Aber warum gab es so lange nur schwache Ansätze zur Selbstorganisation an der „Basis“, warum blieb die Gesellschaft in der DDR atomisiert, während sie sich in Polen zu einer Zehn-Millionen-Organisation zusammenschloß. Die geläufige Antwort: Im Westen liegt kein zweites Polen. Wer Schwierigkeiten in der DDR hatte oder machte, konnte gehen - wenn auch unter unangenehmen Begleitumständen. Die BRD schluckte alles: linke Vorsätze, Erinnerungen, die man hätte vermitteln können, politische und organisatorische Fertigkeiten.

Nimmt man diese konstitutionelle Schwäche zur Kenntnis, muß einen der Erfolg der BRD-Politmanager in der DDR nicht allzusehr verbittern. Und doch bleibt es schwer, zu verstehen, warum die Initiativen, die nach der Ausreisewelle den Menschen in der DDR zum ersten Mal so etwas wie ein gesellschaftliches Selbstbewußtsein vermittelten, anschließend so kläglich versagten. Kein Mensch kann heute darüber ein Urteil abgeben, welche Parteienkonstellation sich in der DDR ergeben hätte, wenn das Neue Forum im November zu einer Konstruktion wie dem Prager Bürgerforum gefunden hätte.

Das tschechische Bürgerforum und das mit ihm eng kooperierende slowakische Forum „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ haben es fertiggebracht, die Organisationsformen der demokratischen Erhebung zu retten und zu transformieren. Die Komitees in Betrieben und Institutionen, die im November den Generalstreik organisierten, sind jetzt, nach dem Abebben der revolutionären Welle, natürlich geschwächt. Elan und personelle Stärke reichen aber noch für die nationalen und kommunalen Wahlen aus. Neben dem Bürgerforum konnten sich eigentlich nur die Grünen organisatorisch konsolidieren. Für den Erfolg des Bürgerforums war entscheidend, daß sein intellektuelles Zentrum, das mit den Aktivisten der Charta 77 im wesentlichen deckensgleiche Prager Komitee, einheitlich handelte, als es um die Macht im Staate ging.

Im Gegensatz zu dem im Westen gepflegten Bild von der Charta als einem Ort ewiger herrschafts- und konsequenzloser Diskussionen zeigten sich die Fensterputzer und Heizer machtbewußt. Die jahrelange solidarische Zusammenarbeit von Exkommunisten, Sozialdemokraten, Christen und Liberalen, ein gemeinsamer Problemhorizont (Ergebnis ausgedehnter theoretischer Debatten), ein sicheres Gefühl für das, was machbar ist, trug jetzt seine Früchte. Unbestreitbar sind die linken, immer noch den Ideen der Selbstorganisation und der Selbstverwaltung anhängenden Kräfte dort stärker, wo Bürgerkomitees und Foren national bzw. regional existieren. Sicher stellen die Komitees auch nur Übergangsformen dar. Von der Dauer ihrer Arbeit hängt aber ab, wie weit das sich herausbildende Parteiensystem in der Lage ist, auf Basisbewegungen und Bedürfnisse zu reagieren.

Ungarischer Populismus

Das ungarische Beispiel, wo das traditionelle Parteienspektrum lediglich modernisiert wurde und die ursprünglich „vernetzten“ Initiativen sich diesen Parteien zuordneten, ist hier instruktiv. Die Arbeitsfelder dieser Initiativen - neue Armut, Rechtlosigkeit der Roma und Sinti, Umweltvernichtung - drohen zu veröden. Die Parteien aber polarisieren sich zwischen einem dogmatischen Neoliberalismus „westlicher Prägung“ und den verschiedenen Spielarten des nationalistischen Populismus.

Christian Semler

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