: Übergangslösungen werden gebraucht
■ Polikliniken in der Übergangsphase erhalten / Ein differenziertes Kassensystem muß geschaffen werden / Regierung hat die Pflicht, die Bedingungen für ein neues Gesundheitssystem auszuhandeln
Das Gesundheitswesen der DDR wird sich verändern. Unterschiedliche Positionen, wie das geschehen soll, existieren dazu auch innerhalb der Regierungspartei CDU. Die taz befragte zwei Mitarbeiter des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises beim Hauptvorstand zu deren Vorstellungen. Inzwischen steht die neue Regierung. Das Ministerium für Gesundheit übernimmt Prof. Jürgen Kleditsch von der CDU. Über seine Konzeptionen werden wir demnächst berichten.
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taz:Sie haben sich in der Nomenklatura sehr schnell hochgearbeitet. Im Januar noch stellvertretender, jetzt ärztlicher Direktor des Klinikums Buch.
Dr. Jakob: Ich bin seit 14 Jahren in Buch Chefarzt der Strahlentherapeutischen Klinik. Zwischendurch war ich sieben Jahre Bereichsdirektor des ehemaligen städtischen Krankenhauses. Das habe ich mir mühsam vom Halse geschaft, weil mich diese Verwaltungsfunktion in meiner eigentlichen ärztlichen Tätigkeit behindert hat.
Und nun hat mich die Revolution - Gott habe sie selig eben hierher gespült, mehr wider Willen. Mein Vorgänger, der von der SED zwei Jahre auf diesen Posten vorbereitet und im Januar hier eingesetzt wurde, der war irgendwo hilflos. Das System, auf das er gebaut hatte - der Stadtrat lenkt, der Parteisekretär denkt, und er regiert - , klappte nicht mehr.
Wie optimistisch sind Sie hinsicht FÜLLERZEILE
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lich der Strukturveränderungen im Gesundheitswesen?
Ich hasse diese Leute, die jetzt ungeprüft westliche Modelle hierherschleppen und in einer Art von Besserwisserei das Gesundheitswesen der DDR verteufeln. Es muß Übergangslösungen geben vom stalinistisch-zentralistischen System zur freien Marktwirtschaft. Das heißt für eine gewisse Zeit müssen wir z.B. die Polikliniken erhalten, weil gar nichts anderes da ist - die Niederlassungen schießen nicht wie Pilze aus der Erde. Aber diese Kolosse mit über 500 Beschäftigten werden auf die Dauer keinen Bestand haben. Die ganze Verwaltung, von der Anmeldung bis zum Heizer mit den Ärzteeinnahmen zu ernähren, halte ich für unmöglich. Der Staat wird das eines Tages auch nicht mehr bezahlen. Die Wünsche nach Niederlassungen werden aggressiv zunehmen. Es stimmt ja nicht, daß die Kasse nicht mehr zahlungsfähig ist, wie es zur Beunruhigung der Bevölkerung in der Zeitung stand.
Ich denke, die Kasse weiß einfach nicht genau, über welche Mittel sie eigentlich verfügt.
So ist es. Die Sozialversicherung ist noch mit dem FDGB vermischt. Hier muß sauber getrennt und ein Kassensystem geschaffen werden. Sicherlich kein einheitliches, denn die Konkurrenz belebt das Geschäft, aber auch nicht 2400 verschiedenen wie im Westen. Aber da wird man gar nicht die Entscheidungsgewalt haben.
Den Ärzten bei uns fehlen für die eigene Praxis Geld, Räume und Geräte, aber die westdeutsche Konkurrenz steht bereit, ohne diese Probleme. Kann eine Sperrfrist gegen diese unfaire Konkurrenz aufrecht erhalten werden?
Das ist möglich. Die DDR ist existent, wir haben eine eigene Volkskammer, eine eigene Regierung und es ist verdammt nochmal Sache dieser Regierung, diese Bedingungen auszuhandeln. Im Staatsvertrag mit der BRD muß also stehen, daß den westdeutschen Ärzten für eine Sperrfrist von fünf Jahren untersagt wird, sich im Gebiet der ehemaligen DDR an Niederlassungen zu beteiligen.
Was meint man dazu in den verantwortlichen Gremien Ihrer Partei? Sie sitzen doch am Drücker.
Ich habe mich inzwischen zurückgezogen aus der Gesundheitspolitik der CDU, dort bin ich nur noch Zuhörer. Ich hatte ursprünglich das Wahlprogramm zum Gesundheitswesen machen sollen. Dann haben sich ein Haufen Leute, die ich für fachlich inkompetent halte - Psychopathen will ich mal sagen -, die haben sich nach oben gespielt und alles an sich gerissen, die Verhandlungen mit Westdeutschland usw. Ich möchte nicht, daß mein Name neben deren steht, für den Unsinn, den sie verzapfen. Ich habe einen Ruf zu verlieren. Wenn mich jemand um Rat fragt, dann sage ich das.
Welche Perspektiven hat der klinische Bereich?
Wir brauchen ein gesamtberliner Krankenhauskonzept. Wenn an der Grenze zum Osten im Westen ein modern ausgerüstetes Krankenhaus mit schönen Zimmern steht und daneben eine klapprige Kiste aus dem Osten, dann muß unter Umständen letztere zugemacht werden. Die Ärzte und Schwestern in der DDR haben das gleiche Wissensniveau wie jene in der BRD. Wir haben eine schlechtere technische Ausrüstung besonders außerhalb Berlins. Das kann schnell ausgeglichen werden. Aber ich glaube auch, daß die gewachsene Verbindung zum Kiez mitentscheidet, wo der Patient hingeht. Das wird nicht nur der Westen sein. Bei uns ist teilweise die Behandlung freundlicher.
Worauf führen sie das zurück. Schicksalsgemeinschaft?
Natürlich, da spielen menschliche Werte noch eine Rolle. Drüben ist alles finanziell geregelt. In meiner Klinik haben wir noch nie gefragt, was es kostet, wenn es für den Patienten gut war. Zum Beispiel nehmen wir Computertomographen, um einen idealen Bestrahlungsplan durchzuführen. Das kann sich im Westen der Arzt nicht leisten, weil er daran nichts verdient. Wenn ich allerdings an die Bettenauslastung von 50 Prozent im Klinikum denke, finde ich es nicht schade, daß materielle Dinge künftig Grundlage unseres Handelns werden. Chefärzte müssen in dieser Hinsicht umdenken, und ich werde ihnen dabei helfen. In Buch müssen allein von 4.200 Betten 1.000 abgebaut werden. Die soziale Flanke - Pflegefälle, Behinderte - muß raus aus dem Krankenhaus, der soziale Bereich muß vom Gesundheitswesen getrennt werden. Nicht so unglücklich wie in Westdeutschland. Frau Lehr im Gesundheitsministerium hat die Richtlinienkompetenz für die Inhalte und Herr Blüm das Geld.
Zu einer Umbruchsituation gehört, daß bestimmte alte Strukturen noch wirksam sind. Wird da nicht noch vieles gemanaget?
Das ist eine schwierige Frage, die mich auch betrifft. Der Runde Tisch im Klinikum hat beschlossen, daß alle Leiter der Vorwende die Vertrauensfrage stellen sollen. Von 47 Anwesenden haben 40 für mich gestimmt. Ich betrachte mich als rechtmäßig hier installiert. Früher, als die Parteizugehörigkeit meist die Stelle entschied, hatte ich als CDU-Mensch Glück, weil es für meine Klinik keinen anderen gab. Man hatte mehr Nachteile als die Parteilosen. Deswegen ist es unglücklich, jetzt als Blockflöte beschimpft zu werden. Wir ersetzen das System der stalinistischen Intoleranz durch ein neues System der Intoleranz der Revolutionäre. Ich hatte die Herrschaften im ehemaligen Stasi-Krankenhaus aufzulösen. Es durfte kein Leiter Leiter bleiben, aber jeder, der sich fachlich eignete, bekam fair seinen Arbeitsplatz. Ich halte nichts von Lynchjustiz.
Aber was, wenn sich im neuen System diejenigen hocharbeiten, die Sie als inkompetente Psychopathen bezeichnen?
Ich glaube nicht, daß sich diese Schreier im Gerangel der Regierung halten werden. Eine Partei wird unfähige Leute nicht mehr decken. Wenn z.B. die sogenannten gesundheitspoltischen Sprecher in der CDU dummes Zeug reden, dann wird die taz darüber schreiben und dann wird der vom Fenster verschwinden. Ich kann ihnen am Runden Tisch der Klinik einen Teil der Leute sagen, der nur dort sitzt, um aufzupassen, daß er ja den Zug kriegt, um Chefarzt zu werden. Diejenigen, die die Revolution vorangetrieben haben, sitzen jetzt schon vergnatzt in der Ecke von den Trittbrettfahrern überholt.
Interview: Tanja Bitt
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