: Freiheitliche Abrißbirne
■ Heute wird das sowjetische Ehrenmal in der Straße des 17. Juni abgetragen / Von O.W.Lieb
Der Bann scheint gebrochen. Nachdem die Sowjetunion sich nun zum Mord an polnischen Offizieren in Katyn bekennt, hat sie sich auch in Berlin zu einer zeichensetzenden Friedensaktion entschlossen: Das 1945 von der Roten Armee enthüllte Ehrenmal zum Gedenken an die Eroberung Berlins darf am Ostersamstag von der Berliner Bevölkerung abgetragen werden. Auf dem Gelände wird die an der Aktion beteiligte Holzmann AG ihr Headquarter errichten.
Quasi in letzter Minute konnten die Berliner Osterfestspiele gerettet werden. Und auf dem Spiel stand nicht weniger als das traditionelle Berlin-Image: Eine Stadt, die für historische Massenspektakel vom Feinsten sorgt. Nach dem 9.November-Auftakt: Hallo-Nachbar-ist-doch-irre, diversen Rock-für-einig-Freiheit-Konzerten, Bernstein-Ost und Bernstein-West, Maueröffnung am Potsdamer Platz und Brandenburger Tor, wurde an eben diesem Tor mit einer letzten gelungenen deutsch-deutschen Fete zu Silvester das ereignisreiche Jahr 1989 abgepiffen. Danach begann im teutonischen Freundentaumel eine gewisse Ereigniserschöpfungspause. Es herrschte Ruhe.
„Eine zu große Ruhe“, wie Dieter Schulzdorf, Pressesprecher der Berliner Hotel- und Gaststätteninnung, befand. „Denn wir haben zwar nach wie vor höchst ausgelastete Bettenkapazitäten durch westdeutsche und -europäische Touristen, aber die Attraktion von Mauerlöchern und Preußenschlössern verschleißt sich schneller, als wir uns das vorstellen mögen. Deshalb muß gerade zu den Feiertagen, wenn wir besonders viele Gäste in unserer Stadt begrüßen, auch ein besonderes Ereignis her.“
Und damit sah es zunächst für die Osterfeiertage recht mau aus, zählen doch Veranstaltungen wie das Britzer Mühlenfest, „Künstler für Kinder - Oster-FEZ“, die Lesung und Mal -Performance „Gefängnis, Farben-Freiheit in Grau“, die Ausstellung „KopfArbeit - Entwicklung des Friseurhandwerks“, das Radrennen „Rund in Kreuzberg“, das Spielzeugzauberland im Jugendklub Spitze, der Single-Treff mit „Heute Rauchen nur im Cafe“ oder der 412. Ringelnatz/Morgenstern/Tucholsky -Abend, das Gespräch über europäische Fayencen oder der Sonntagsspaziergang gegen den neuen Atomreaktor nicht gerade zur Haute Cuisine für den zu stillenden bi- und multikulturellen Erlebniskonsumhunger. Die Rettung vor eingefahrener Kleinstadtödnis kam diesmal von einer gänzlich unerwarteten Allianz:
Die Philip Holzmann AG, ein vielverschachtelter bundesrepublikanischer Baumulti, erwarb vom Außenhandelsministerium der UdSSR einen 49%-Anteil am Ehrenmal für die Rote Armee in der Straße des 17. Juni. Mit einer, so hoffen die Holzmann-Strategen, gelungenen PR -Aktion will sich der Konzern von seiner großzügigsten Seite zeigen: Als Osterei sollen die Berliner und ihre Gäste das leidige Siegermal eigenhändig abtragen dürfen.
Der sowjetische Brocken, inmitten des britischen Sektors gelegen, galt der Ex-Frontstadtbevölkerung schon immer als Stachel im Fleische der Stadt. 1945, zum Jahrestag der russischen Oktoberrevolution, wurde das Ehrenmal zum Gedenken an die Eroberung Berlins durch die siegreiche Rote Armee enthüllt. Das aus Granit und Marmor in Form eines Tores errichtete Monument mißt in der Länge neunzig Meter. Flankiert wird es von zwei T34-Panzern, die angeblich als erste im April '45 Berlin erreicht haben. Über all dem wacht das bronzene Standbild eines Soldaten der Roten Armee.
Zur Zeit der Ehrenmal-Einweihung hieß die anliegende Straße noch Charlottenburger Chaussee. Als Rotarmeepanzer 1953 den ostdeutschen Aufstand niederwalzten, wurde den wachhabenden Soldaten qua Senatsbeschluß ein freiheitlich-demokratisches Denkmal in Form eines Straßenschildes vor die Nase gehalten: Fortan hieß die preußische Aufmarschtrasse „Straße des 17. Juni“.
Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die antisowjetische Pogromstimmung mit dem Bau der 61er-Mauer. Die Kampfgemeinschaft von britischen Soldaten und Westberliner Polizisten mußten das sowjetische Haßsymbol und dessen Wachmannschaft mit Hilfe von Stacheldraht vor aufgebrachten Frontstädtlern schützen. Der Stacheldraht wurde später durch einen ebenso schmucken wie hohen Zaun ersetzt. Seitdem war das Ehrenmal bloß eine „side-order“ im Sightseeing-Programm; West-Touris konnten angstfrei echte Russen gucken und wie diese verträumten Stechschrittes ihre Wachablösung zelebrierten.
Das alles wird, wie so vieles in dieser Stadt, nunmehr der Vergangenheit angehören. An diesem Samstag um 18 Uhr wird in Anwesenheit der vier Stadtkommandanten die letzte Wache heimgeholt. Die zu einem Spalier angetretene Ehrenformation der amerikanischen, französischen und britischen Garantiemächte schießt einen Ehrensalut auf die sowjetische Garde, bevor diese durch das Brandenburger Tor verschwindet.
Der gedrängte Zeitplan läßt keinen Raum für pietätvolle Pausen. Kaum sind die letzten Soldaten abgezogen, wird mit der Einrüstung dieser überflüssig gewordenen Sowjetarchitektur begonnen. „Wir gehen schon mal aus versicherungstechnischen Gründen enorm planvoll an den Abriß“, erklärt Leo Großkopf von der Holzmann AG. „Nicht so ein Mauerspechtgekloppe, wo unten fast alles weg ist und einem das Ding von oben auf den Kopf fallen kann. Wir fangen oben an und hören unten auf.“
Konkret vorbereitet ist ein kontrollierter Einlaß der abrißfreudigen und geschichtsgestaltenden Citoyens. Jeder, der mit Hammer und Meißel ausgerüstet ist, erhält gegen ein Entgelt von 10 Mark einen gelben Schutzhelm mit der Aufschrift: „Holzmann baut mit an Freiheit und Frieden“. Der Helm kann ebenso wie die eigenhändig herausgeschlagenen Granit- und Marmorbrocken als Souvenir behalten werden.
„Natürlich gehen wir davon aus“, erklärt Großkopf weiter, „daß der Publikumsandrang so enorm sein wird, daß die meisten Menschen den Abriß life gar nicht sehen, geschweige denn ihren Hammer zum Einsatz werden bringen können. Damit das Ganze dennoch ein gelungenes Volksfest wird, haben wir mit privaten Medienmachern einen Kontrakt abgeschlossen.“
Und so paßt es denn wohl in die Zeit, daß der Schamoni -100,6-Funk mit markig-hippen Freiheitsprüchen das Verstärkerereignis zum Medienspektakel moderieren wird. Dabei beschränken sich die Funker nicht auf ihr angestammtes Medium, sondern inszenieren vor dem Abrißprojekt eine TV -Show, die sowohl an die Öffentlich-Rechtlichen verkauft, wie auch von zwei gigantischen Videowänden nach Ost und West ausgestrahlt wird. Standort der Video-Wände ist das Brandenburger Tor. „Da ist doch gerade ein Platz frei“, erklärt Betonfunk-Chef Schamoni lakonisch. „Die Quadriga wird derzeit im Museum für Verkehr und Technik repariert.“
Daß sein Einsatz für Demokratie und Hau-weg-den-Scheiß für Schamoni auch zum Geschäft wird, bestätigt Leo Großkopf: „Wir hätten noch jede Menge Sponsoren mit reinnehmen können. Zum Beispiel wäre ein Bohrmaschinenhersteller gerne bei der Abrißaktion dabeigewesen. Aber wir wollten das mal ganz für uns machen. Daß der Schamoni sein Geld über Mars-macht-mobil - und Milka-Lila-Pause-Spots reinholen wird, ist doch klar. Das gehört halt dazu.“
Doch ist der Schamoni-Gewinn nur Kleingeld im Vergleich zu dem Coup, den Holzmann landet. Denn letztlich ist der Volksfest-Abriß des Ehrenmals nur der publikumswirksame Auftakt zu einem Bauprojekt der größeren Ordnung. Wenn die Ost-Pickler genug geklopft haben, wird der Rest flach gemacht und mit den Ausschachtungsarbeiten auf dem einige 10.000 Quadratmeter großen Gelände begonnen. Darauf wird sich das neue Holzmann-Headquarter mit einer noch unbekannten Anzahl von Büroetagen türmen (siehe auch nebenstehenden Kasten: „Abrüstung kostet schließlich auch Geld“).
Gewohnt vollmundig erklärte Umweltsenatorin Schreyer auf Anfrage prompt: „Da mache ich nicht mit, ich laß mir die grüne Lunge nicht kaputtmachen“, doch verwies der Joint -venture-Partner Wladimir M.Nikotin für das Außenhandelsministerium der UdSSR bereits auf die Grenzen der moderaten neuen Politik: „In Gebietsfragen lassen wir uns nicht hineinreden. Wie hoch wir bauen, entscheidet nicht das Bezirksamt Tiergarten (siehe auch den Kasten: „Die Geschichte wird umgeschrieben“).“
Doch egal, wie dieses Duell ausgehen mag; fest steht, daß die Zuschauerbeteiligung dabei weniger engagiert ausfallen wird als bei den österlichen Festabrißspielen.
O.W.Lieb
Beginn des festlichen Abrisses heute, Samstag, um 18 Uhr. Schutzhelme wie Pickelgerät sind vor Ort erhältlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen