: Aus großer Zeit
■ ENTREE GRATUITE - MINIATURMUSEEN IN PARIS
Entree Gratuite - unter diesem Motto hat der Pariser taz -Korrespondent Miniaturmuseen in der Seine-Stadt besucht. Heute die 5. und letzte Folge unserer kleinen vorösterlichen Serie: Das Mitterrand-Museum in Chateau-Chinon.
An dieser Stelle sollte ursprünglich das Pariser Detektiv -Museum gewürdigt werden, das nach Aussage gewöhnlich verläßlicher Informanten in einer Seitengasse hinter dem Bahndamm von Saint Lazare zu finden sein sollte. Doch trotz intensiver Recherchen und Ortsbegehung waren vom Detektiv -Museum keine Spuren zu finden. Mysteriös, um nicht zu sagen: verdächtig. Die Ermittlungen dauern an. Als Ersatz ein Besuch auf heiligem Boden - im Mitterrand-Museum zu Chateau-Chinon.
Zart streichen Tiefflieger über das gewellte Land. Heckenwege, Eichen, weißes Milchvieh - die Ni evre, das Land des Präsidenten, ist von Moderne, Fortschritt und Flurbereinigung ebenso unberührt wie von sozialistischen Anfechtungen. Wer sollte hier, wo alles stillsteht, auch schon auf den Gedanken kommen, „das Leben ändern“ zu wollen? Der Präsident hat die Bauern der Ni evre seit 1948 in der Pariser Nationalversammlung vertreten, eine Generation lang war er Bürgermeister des Städtchens Chateau-Chinon. Jedes Dorf weiß eine Geschichte über den Präsidenten, und an jedem Dorfthresen sind ohne großes Nachfragen Details über die unehelichen Kinder zu erfahren, die Er dem Land geschenkt hat.
Im alten Kloster der Heiligen Klara zu Chateau-Chinon hat der Präsident die Präsente, die ihm in seiner ersten Amtszeit zuteil wurden, ausgestellt, dem Volk zu Erbauung, der Jugend zur Lehre: „Im Erdgeschoß befindet sich ein Konferenz - und Lichtbildprojektions-Saal, in dem den Besuchern allgemeine Informationen über die Reisen des Präsidenten, über die Bewandtnisse der diversen Schenkungen, sowie über die diplomatische Bedeutung des offiziellen Gastgeschenks vermittelt werden“, verheißt der Katalog in jenem semiotischen Charme, der offiziösen Übersetzungen stets eigen ist.
Ehrfürchtig schreitet das Volk - 5.000 Besucher kommen pro Jahr angepilgert - durch die Säle, entnimmt einer Weltkarte, daß der fleißige Präsident über 200 Staatsbesuche absolviert hat, vor allem nach Afrika, aber auch nach Berlin und Bayern, das in Chateau-Chinon als eigener Staat geführt wird. Mächtige Leoparden- und Elefantenorden sind zu sehen, ewige Widmungen von bisweilen längst hinweggeputschten Staatsgrößen und eine Huldigung von Österreichs Präsident Kirchschläger, der vor lauter Ehrfurcht das zweite R im Namen des Geehrten vergaß.
Der Kultus der internationalen Beziehungen schreibt vor, möglichst nutzlose Güter in einem eifrigen Bemühen um Gegenseitigkeit auszutauschen, symbolische Gesten der Hoffnung. Je teurer die Gaben, desto größer das Opfer und desto wirksamer die Beschwörung künftiger und nützlicherer Tauschhandlungen. Arme Stämme kommen folglich mit kostbareren Geschenken. Während sich die Nord- und Mitteleuropäer mit stillosen Silbertellern und schnöden Zigarrendosen aus der Affäre zogen, offerierte Portugal ein Segelschiff aus Goldfiligran, Kambodscha einen türkisfarbenen Pfau mit Gold und Emaille. Kolumbien schließlich ließ in seiner verzweifelten Lage jede Symbolisierung fallen und knüpfte dem Präsidenten sein Bildnis, mannshoch und auf blauem Grund.
Wer es sich leisten konnte, ließ auch feine Ironie spielen. Algeriens Staatschef legte dem Präsidenten - der während des algerischen Befreiungskriegs Justizminister war - der einstigen Kolonialmacht einen Reitersattel zu Füßen. Und Ronald Reagan konnte es sich offenbar nicht verkneifen, dem frischgewählten sozialistischen Präsidenten einen Comic in Öl zu schenken: die Seeschlacht bei Virginia Capes zeigt einen Schiffbrüchigen vor dem Hintergrund siegreicher, angelsächsischer Flottillen.
Alexander Smoltczyk
Musee du Septennat, 6, rue du Chateau, 58120 Chateau-Chinon
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