: DER GUUTE NAME
■ Aus „Aschinger“ mach „Aschinger“: Wie ein altes Traditionshaus unter altem Namen als „Erlebnisgastronomie“ wiederersteht
„Vom Süden kommt die Rosenthaler Straße auf den Platz. Drüben gibt Aschinger den Leuten zu essen und Bier zu trinken. Konzert und Großbäckerei ... Aschinger hat ein großes Cafe und Restaurant. Wer keinen Bauch hat, kann einen kriegen, wer einen hat, kann ihn beliebig vergrößern. Die Natur läßt sich nicht betrügen! Wer glaubt, aus entwertetem Weißmehl hergestellte Brote und Backwaren durch künstliche Zusätze verbessern zu können, der täuscht sich und die Verbraucher. Die Natur hat ihre Lebensgesetze und rächt jeden Mißbrauch. Der erschütterte Gesundheitszustand fast aller Kulturvölker der Gegenwart hat seine Ursache im Genuß entwerteter und künstlich verfeinerter Nahrung. Feine Wurstwaren auch außer dem Haus. Leberwurst und Blutwurst billig.“ (Döblin, Berlin Alexanderplatz)
Aschinger ist Aschinger. Oder: „A A“. Doch damit dieser Satz überhaupt gedacht werden kann, so lehrt uns Fichte, muß A gleichzeitig auch Nicht-A sein, denn es sind doch zwei Dinge, die so in eins gesetzt werden. So ähnlich verhält es sich auch mit Aschinger, dem ehemaligen Gaststättenimperium, und dem, was jetzt unter dem Namen Aschinger am Kudamm neu eröffnet wurde.
Aschinger, 1892 in der Roßstraße gegründet, in den dreißiger Jahren ein Multi mit 25 Filialen in Berlin, nach dem Krieg kleinere Brötchen backend, die zuvor, weil sie doch umsonst waren, angeblich einigen Armen das Leben gerettet hatten; Aschinger also, verewigt in nahezu jedem Berlinroman der Weimarer Zeit, Labsal notleidender Studenten in existenzialistischen Fünfzigern, Pennerbude in den Siebzigern, ging 1976 in Konkurs. Die Spur der vermeintlich letzten Namenserbin verlor sich in den USA. Heißt fortan Ingrid Walton-Aschinger.
Die Erbsensuppe wird rustikal
Am 12. März eröffnet der Jungunternehmer Peter Meyer ein neues Aschingers. Am Kudamm. Lange hatte er, so berichtet zumindest die 'Bild'-Zeitung, einen Geschäftspartner gesucht, der Träger des Traditionsnamens war. In Hamburg wurde er fündig: Ein gewisser Ralph Aschinger stellte sich als Juniorpartner zur Verfügung. Und nun heißt die Gasthausbrauerei, die neben der Filmbühne so „rustikal“ („nennen wir's anders“ mahnt Peter Meyer seinen PR-Mann) als „Erlebnisgastronomie“ entstanden ist, eben auch Aschingers.
In der Pressemappe, die Dirk Jacobs, der PR-Sondermann des neuen Aschingers, zusammengestellt hat, finden sich ausschließlich Zeitungsberichte über das alte Aschinger. Die Identität freilich soll in Differenz herausgearbeitet werden, der Bezug zum Alten wird verleugnet: der Name, so sagt der sympathisch-schlaksige Peter Meyer, sei doch nur zufällig, was man allein schon an den Preisen erkennen könne. Heute kosten 0,2l Bier 2,80 DM. Früher war „Aschinger so billig, daß auch der ärmste Mann hineingehen konnte. Die Erbsensuppe hat 25 Pfennig gekostet, das Bier zehn Pfennig“, berichtet Anneliese Aschinger, 87, die in Zehlendorf lebende Schwiegertochter des Aschinger -Gründers Karl, am Telefon. Die alte Dame will nichts von einer Identität wissen, die sich erst sauber durch das zugleich Identische und Differente konturieren, gar vernünftig begründen würde - modernen Tüterkram, Geschäftemacherei vermutet sie zu Recht und wird „gegen die Nutzung unseres Namens klagen. Das hat nichts mit unserem Traditionshaus zu tun. Keiner hat mich gefragt. Entweder verschwindet der Name oder sie müssen zahlen.“
Sie zu beschwichten, bot der Anwalt der Geschäftsleitung im Dezember, als die Umbauten schon längst begonnen hatten, vergleichsweise „einige Tausend“, so Meyer, „10.000 - das ist ja lächerlich, das sind ja nur zwei Monatslöhne eines Facharbeiters“, empört sich Frau Aschinger, die „ -zigtausend“ (Meyer) hatte haben wollen.
Der Name kommt
wieder zu sich
Im neuen Aschingers will man, so Meyer, auf die dreißiger Jahre Bezug nehmen und nicht auf das, was am Zoo als letzter Rest des Aschinger-Imperiums 1976 pleite gemacht hatte. Angeblich, weil v.a. Penner den Umstand nutzten, daß es zu einem Bier bzw. einer Erbsensuppe beliebig viele Brötchen gab - viele Penner setzten sich hinter ein nur halb ausgetrunkenes Bier, hinter einen erkalteten, steif und scheußlich gewordenen Eintopf und ließen sich massenhaft Brötchen bringen; aber nicht deshalb mußte Aschinger Konkurs anmelden, sondern weil die Kudammmieten in die Höhe gingen - inzwischen zahlt Joe 70.000 und die Hausbrauer müssen per Monat 100.000 auf den Tisch blättern - weil damals ganz exotisch Pizzerien, griechische und amerikanische Restaurants zu boomen anfingen. In den Siebzigern hatte Aschinger jedenfalls einen schlimmen Ruf: Sagt man heute in der DDR, hier sieht's ja aus wie bei Konopkes unterm Sofa, so sagte man in der Zeit unserer großen Brüder und Schwestern: hier sieht's ja aus wie bei Aschinger. Und darauf, so der Geschäftsführer, wolle man eben nicht Bezug nehmen.
Peter und sein schwergewichtiger Namensgebercompagnon, wollen den Namen Aschinger wieder zu sich selbst bringen. Erlebnisgastronomie ist das Zauberwort. Wie geht das?
Man nehme einen Raum und gebe diesem Raum einen alten Namen. Der Name verspricht etwas (so wie jeder Name), was schon längst geschehen ist: Zille, Döblin oder Walserberlin. Im so entstandenen Erlebnisraum ist alles schon erlebt worden: Er soll die Erlebnisse als Wiederholungen anziehen. Das Subjekt zu entlasten von der Anstrengung, selbst erleben zu müssen, ist der eigentliche Sinn von „Erlebnisgastronomie“.
Die Menschen verlangen danach. Das hat jedenfalls ein Nürnberger Professor nach ausgiebigen Markt- und Meinungsanalysen herausgefunden, wie Herr Meyer freudestrahlend erzählt. Und damit die Erlebnisse kommunikativen Handelns auch ohne Schwierigkeiten stattfinden können, werden Schwellen abgebaut, die die verschiedenen Bereiche, die verschiedenen Menschen und die verschiedenen Zeiten voneinander trennen; genauer: die darauf hindeuten könnten, daß es so etwas wie Verschiedenheiten gibt. (In diesem Sinne meint „Come together“ immer nur das bekannte europäische Gesicht, das ja auch mal dunkel sein kann.)
Ärmlich beleuchtete
Erlebnisse
Der alte Name verspricht Erlebnisse, der stilvolle Raum leitet sie. In der Pressemitteilung wird er folgendermaßen beschrieben: „Verkupferte Rohrleitungen durchziehen den großen Gastraum, in dessen Mittelpunkt der mächtige Sudblock den Gästen einen interessanten Einblick in die Kunst des Bierbrauens gibt. Auch die Gärbottiche sind nur durch kunstvoll verzierte Glasscheiben vom Publikum getrennt.“ „Kräftige Zapfer“ rollen Bierfässer aus der Brauerei heran. Das Ganze ist im Ambiente der goldenen Dreißiger gehalten. Die Tische sind so breit, daß die Menschen sich wie selbstverständlich nebeneinander setzen. Es gibt einen Zwischenbereich, der spielt Stehbierhalle. An die Stehtische kann sich der stellen, der nach kommunikativem Handeln durstig, sich nicht an der Theke als ein nach kommunikativem Handeln Dürstender zu erkennen geben will. Es ist, als ob sich Arbeit, Freizeit, Zeiten und Menschen im Erlebnisraum gefahrlos vermischen würden.
Anneliese Aschinger jedoch, die am letzten Samstag ihre Namensokkupanten besuchte, findet es scheußlich: „Det is doch keen Aschinger“, meint sie und: „Es ist ja ganz primitiv. Da stehen ein paar Salatteller auf der Theke ... eine Schüssel mit trockenem Brot. Ärmliche Beleuchtung ...“ Im alten Aschinger, wo morgens um sieben schon die Menschen gekommen wären, sich ein Frühstück zu genehmigen, in den alten Gaststätten, die ganz mit Spiegeln verglast gewesen seien, sei es schöner gewesen. Und: „Für mich ist es wichtig, daß der Name wegkommt.“
Wo der Ernstfall, das Gastraumgeschehen, durch den Stil der Einrichtung vorprogrammiert ist, darf dessen Premiere, die Eröffnung, zum spontan überraschenden, zum charmanten Chaos werden. Ein paar Stunden vor dem offiziell ersten Anzapfen werkeln noch 55 Maurer, Fliesenleger, Anstreicher durcheinander - „Erst sollte alles gelb, dann war'n wir fertig, dann sollten wir Weiß raufmachen ...“ Der Stuttgarter Innenarchitekt und Ausstatter Helmut Vorreiter, spezialisiert auf Stil und Atmo, ist stolz darauf, daß man nie zum Termin fertig wird. Allzu genervt scheinen auch die Chefs nicht zu sein. Die Arbeiter sind fröhlich. Kapitalismus mit menschlichem Antlitz oder: lächelnd tun wir nur noch so, als wären wir im Kapitalismus.
Braumeisters Augen
Einige Biker, die sich noch ans Aschinger am Zoo erinnern konnten, sind wegen der Erbsensuppe hergekommen. „Wenn da hundert Leute geladen sind“, sagte einer, „geh'n wir auch mal daher. Warum soll das immer nur für die Leute sein, die eh schon genug Kohle haben.“ Eigentlich wollten sie mit Walter Momper hier eine Diskussion über die „Diskriminierung und Verfolgung von Motorradfahrern“ führen. „Leider ist er ja nicht hier.“ Als Durchmischungsprojekt war die Eröffnung ein Bombenerfolg. Journalisten, Brauer, Geschäftsleute, Freunde und Bekannte, Fliesenleger, Anstreicher, Maurer und ein Leierkastenmann wuselten durcheinander.
Braumeister ist der Peruaner Manuel Colmenares. Aschingers PR-Mensch Dirk Jacobs, freier Journalist, beschreibt ihn unter der Rubrik „Menschlich gesehen“ in der MoPo als exotisches Eichhörnchen: „Er ist schlank, flink und arbeitet sehr schnell ... Frau Sabine führte ihn 1970 vor den Berliner Braualtar und ließ seine leuchtenden braunen Augen noch stärker erstrahlen.“ Immer wieder hatte er gehört, „daß z.B. die Frauen nicht so gern Bier trinken, weil es so herb und bitter ist. Wenn das Bier ein bißchen lieblich ist, trinken sie genausoviel wie die Männer. Ham wir gedacht: Machen wir ein liebliches Bier, nicht so bitter, nicht so herb.“ Das Bier hat 3,9 Volt, denn „was haben wir davon, wenn die Leute nach zwei, drei Bier schon betrunken sind.“
A A, Bier Bier; so merkwürdig sanft, so lieblich betrunken sagte dann auch der freundliche Biker: „Das Bier schmeckt mir eigentlich ganz gut, aber 'n Berliner Kindl ist mir trotzdem lieber.“
Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen