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Verriß eines Verrisses

■ betr.: "Unter Linden" (Arno Widmann), taz vom 9.4.90, S.10

Betr.: „Unter Linden“ (Arno Widmann), taz vom 9. 4., S. 10

Wer anderen Taschenspielertricks vorwirft und selbst nur einen einzigen Verriß zustandebringt, dem sollte man mißtrauen. So fand ich auch den Beitrag von Arno Widmann recht merkwürdig. Für sein allein seeligmachendes Konzept solltet Ihr konsequenterweise nochmal ein paar Zeilen opfern. Aber das hat er ganz sicher auch nicht. Statt dessen stellt er sich in erhabene Positur; ist er doch selbst eines Besseren belehrt: die Menschen durchschauen eure wortverklärte Wirklichkeit, denn für sie gibt es keine Alternative. Nun, er hat gut reden - fünf Monate später ist er natürlich klüger. Aber bösartig ist, wie er die wahren Beweggründe, die zu dem Aufruf geführt haben, nämlich die Chance zu haben, den Utopien ein Stück näher zu kommen, einfach verdreht. Zwar hat er an mancher Stelle recht mit seiner „Analyse“, doch wie er's anbringt, ist disqualifizierend. Daß jeder Neuanfang ein Experiment sein wird, verschweigt er - ebenso, daß der Idealismus in den Büchern der genannten Schriftsteller vielen geholfen hat. Außerdem hat keiner von ihnen den Anspruch geäußert, fähiger Politiker zu sein. Wohl aber verantwortungsbewußter und kritischer Schriftsteller. Und dieses Unbequemsein wird eben unbequem bleiben, genauso wie sich bestimmte Ideen sehr hartnäckig halten und immer wieder Anklang finden werden. Sicher, wer fest im Sattel sitzt, kann entsprechend Freiheit zulassen. Aber wo's ans Eingemachte geht, wird man einzugreifen wissen. Und wer kann schon so klar in die Zukunft blicken, in der ja nicht nur Deutschland und Europa existieren werden. Aber die Zeit, in der Utopien und Moral auch was zählen, ist nicht, jetzt ist die Zeit des kühlen Kopfes. Schade! Dabei muß der Vorwurf der Augenverkleisterei zuallererst den Machtbesessenen gemacht werden. Denen ist so manches Mittel recht.

Jörn Hentschel, Berlin

Glücklich ist, wer so vieles vergißt. Glückwunsch! Diese Siegerpose treibt die perfide Logik seiner Kalt

stellung der Frau Wolf und des Herrn Heym. Wenn in einer kleinen Sentenz nachgereicht wird, daß man ja auch mal wie die dümmlich-gefährlichen Schriftsteller Wort und Wirklichkeit verwechselt habe - so jedenfalls die gutwillige Deutung dieses eigenartig unbedeutend dunkelnden Einschubs bleibt dieses sich auf die Siegerseite schummeln einfach allianzprächtig. So ernst kann Widmann die Anspielung auf zu leistende Trauerarbeit wohl auch nicht gemeint haben, macht aber ganz schön was her. Ich jedenfalls habe von diesen Siegern, die angesichts des Notfalls Geschichte doch nur Pyrrhussiege feiern können, die Nase voll. Daher auch, um Widmanns unschwer nachvollziehbare Opposition gegen eine stalinistische Linke zu erinnern, von einem stalinistischen Antistalinismus der Linken.

Helge Schilf, Berlin

Wir sollen angeblich ein Volk sein, indes, ja, wir sind ein blödes Volk, wie kluge Deutsche es ausbessern. Nachdem ich recht tolerant (Du sollst die Meinung Deines Nächsten lieben wie die eigene) dieses Fast-Essay mir reingeholfen hatte und zu jener Stelle kam, in der die Unternehmer ächz-ächz so berührend bedauert werden wegen ihres Ärgers und ihrer Verantwortung gegenüber -zigtausenden Arbeitnehmern, da dämmerte mir Dummerchen, daß dies doch eine gut inszenierte massive Provokation war, um reichlich Leserpost einzufahren. Selbst in der heutigen DDR ist ein journalistisches Frankensteingebilde alias A. W. nicht auszudenken. Auch in diesem Jahrzehnt gedenke ich weiterhin, selbstgefälligen Quatsch mit milder Nachsicht zu beobachten.

O. Bischitzky von Daddelsen,

Berlin

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