Für eine „universitas literarum“

■ Interview mit dem künftigen Rektor der Humboldt-Universität / Prof. Fink ist damit der 17. Theologe, der zum Rektor der HUB gewählt wurde

taz: Herr Professor, Sie haben sich nicht um das Amt des Rektors beworben, sind aber von allen Fakultäten vorgeschlagen worden. Welches Argument ihrer Kollegen war ausschlaggebend für ihre Kandidatur?

Prof. Fink: Ich konnte mich der Verantwortung nicht entziehen. Meine Kollegen erwarten, daß ich diese Aufgabe bewältige und haben mir ihre Unterstützung zugesagt. Ich hätte ein schlechtes Gewissen dabei gehabt, die Aufgabe abzulehnen, so wie ich jetzt ein schlechtes Gewissen habe, nicht alles schaffen zu können.

Von Ihnen erhoffen sich viele Wissenschaftler der Universität die gleichberechtigte Förderung der Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Was können die geisteswissenschaftlichen Disziplinen leisten? Wird nach jahrelanger Bevormundung durch den Staat nun eine Bevormundung durch den Markt folgen?

Ich bin in diesem Punkt konservativ. Ich meine, daß Wissenschaft überhaupt nicht marktträchtig ist. Ein Staat muß sich Wissenschft leisten. Wissenschaft akkumuliert Erkenntnis, ob sie sich in „Produkte“ umsetzen läßt, wird sich zeigen.

Die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften haben in der Zukunft viel zu tun. Ethische Fragen, zum Beispiel nach dem Gebrauch und Mißbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse, dem Wert des Menschen und der Leistung, müssen neu gestellt werden. Wichtig ist auch die Beschäftigung mit der Integration von Gruppen, die bisher am Rande der Gesellschaft standen. Ich denke da an die Behinderten. Wir haben es organisatorisch versucht, aber inhaltlich, menschlich, psychisch nicht geschafft. Auch müssen wir unsere Geschichte aufarbeiten, Fehler und Fehlerquellen aufdecken, uns zu ihr bekennen.

Sie setzen sich für eine eigenständige Humboldt-Universität ein. Um im internationalen Maßstab souveräne Leistungen bringen zu können, muß auch die Naturwissenschaft ihre Provinzialität überwinden. Wie soll dies geschehen?

Die Humboldt-Universität genießt im Ausland ein hohes Ansehen, das sie zu einem großem Teil ihrer Tradition schuldet. Es reicht natürlich nicht, nur auf Vergangenes stolz zu sein, es muß weitergearbeitet werden. Gerade an solche traditionsreichen Disziplinen wie die Landwirtschaftswissenschaft sowie die Human- und Veterinärmedizin werden von außen hohe Erwartungen gestellt. Meiner Meinung nach ist es wichtig, die Verbindung zwischen Theorie und der Praxis weiter auszubauen und mit anderen Universitäten, zum Beispiel der TU und FU zusammenzuarbeiten. Vernünftige Wissenschaftler sind an der Wissenschaft anderer interessiert und nicht daran, sie kaputt zu machen. Die Frage ist, wie können wir auf der Grundlage gemeinsamer Erkenntnisse weiterdenken.

Wird sich die Humboldt-Universität unter Ihrer Leitung zu einer Massenuniversität entwickeln?

Ich bin gegen eine Massenuniversität. Um einen Beruf zu ergreifen, braucht man nicht unbedingt zu studieren. Man muß auch nicht studieren, um einige Jahre zu überwintern. Darüber werden wir vernünftig reden. Die Universität sollte eine universitas literarum sein, wo jeder so studiert, daß er sich der Wissenschaft würdig erweist.

Wie verträgt sich jedoch die gegenwärtige Praxis des numerus clausus mit dem Recht auf Bildung?

Zuerst einmal muß geklärt werden, wo die Interessen der Bewerber und Anforderungen der Betriebe liegen. Großer Andrang wäre in Modestudienrichtungen zu erwarten. Hier den numerus clausus aufzuheben, ist nicht sinnvoll. Wem nützen arbeitslose Akademiker? Auch diese Seite will bedacht sein. Meiner Meinung nach kann man Studienbeschränkungen in den Fächern aufheben, die bisher vernachlässigt wurden.

Sie sagten einmal, die Studenten sollen durch ihre Lehrer Humanismus vermittelt bekommen. Können die Lehrkräfte diesem Anspruch überhaupt gerecht werden?

...manche mehr als sie jetzt ahnen, andere brauchen Nachhilfeunterricht. Es mag paradox klingen. Da wo es zwischen Lehrenden und Lernenden keine menschlichen Bezüge gibt, ist das, was vermittelt wird, eigentlich keine Wissenschaft mehr. Ein Lehrer muß ein ständig in die Wissenschaft Verliebter sein. Ein Stück Humanismus beginnt da zu wirken, wo der Lehrende den Lernenden nicht überzeugt, sondern ihm die Erkenntnisse nahebringt, mit denen er selbst lebt.

In der Vergangenheit war für so manche Professur nicht die fachliche Kompetenz ausschlaggebend. Wird es an der Humboldt -Universität eine Erneuerung des Lehrkörpers geben?

Ja. Erneuerung heißt weder jemanden physisch und psychisch verdrängen noch Hexenjagd. Wir müssen mit den Betreffenden reden. Das ist ein therapeuthischer Prozeß. Nur so wird es möglich zu differenzieren. Viele Proffessuren wurden auf Grund der Parteimitgliedschaft in der SED vergeben. Diese Kollegen haben die Aufgabe nachzuholen, was sie bisher nicht geleistet haben. Wenn sie das nicht können, sollten sie zurücktreten.

Anstatt des Gespräches ziehen viele erst einmal die „Säuberung“ ihrer Kaderakten vor, weil sie Angst haben, von nun an in ihrer wissenschaftlichen Entwicklung gehemmt zu werden.

Angst ist das Schlüsselwort. Wir scheinen es in Deutschland noch nie geschafft zu haben, ohne Angst zu leben. Wir scheinen unsere eigene Potenz immer an der Impotenz anderer zu messen und unsere Profilierung immer am Defizit anderer zu gewinnen. Ich sage es ganz profan, das ist schlimm. Ich möchte, daß wir angstfreier leben, um dem anderen die Möglichkeit zu geben, sich von seiner Angst zu befreien. Angst ist eine schlechte Erzieherin für das Umdenken. Wo Schuld war, muß Schuld erkannt werden. Wo Kriminalität war, muß sie aufgedeckt und gerecht bestraft werden. Bestrafung darf aber nicht zur geistigen Zerstörung führen. Sie muß Veränderung bewirken.

Welchen Leitungsstil bevorzugen Sie?

Ich setze stark auf den demokratisch gewählten Senat. Ich bin für einen offenen, dialogischen, demokratischen Leitungsstil.

Bei Entscheidungskonflikten im Senat hat aber der Rektor das letzte Wort.

Das ist eine Herausforderung, denn er muß sich überlegen, ob das letzte Wort auch das richtige ist. Ich hoffe, daß es nie zu einem solchen Konflikt kommt. Auch wird es den Runden Tisch sicher als beratendes Kollektiv weiterhin geben. Es wäre schade, wenn all die gesellschaftlichen Kräfte, die an der Universität einiges in Gang gebracht haben, nun nicht mehr zu Wort kämen.

Werden Sie die nächsten zwei Jahre auch in Lehre und Forschung tätig sein?

Sobald es möglich ist. Ich halte gerade meine Lehrveranstaltungen zum Feindbild, das zu den Ereignissen vom 7. und 8. Oktober geführt hat und ein katechetisches Seminar. Die Lehre ist mir wichtig, weil ich den Kontakt zu den Studenten brauche.

Interview: M. Kaemmel