: EIN KELLER BUNTES
■ „Kuriositäten“ in der Galerie Contra Forma
Nach vier Stufen abwärts und einer Tür ließe sich schneeblind werden: Die Wände der Galerie Contra Forma sind strahlend weiß, und der Fußboden in ebensolcher Farbe ist so sauber, daß davon gegessen werden könnte. Schön knallig kommen da die Ausstellungsgegenstände. Passend zu den Frühlingsblumen draußen wachsen hier Pflanzen in Orange, Grün, Gelb, Rot und Blau. Stramm recken sich Metallstengel, aus denen oben flackernde Glimmbirnen knospen und seitlich sich durchsichtige Blätter entfalten. Ebenerdig kümmern in Töpfen Augenblumen vor sich hin.
Es handelt sich bei diesen Gewächsen um Wucherungen von Gestaltungswillen, um „Kuriositäten“ aus der Hand von Künstlern, Modemachern, (Möbel-)Designern und -innen. Jörg Moritz und Stefan Werner trugen in ihre auf Stuhlentwürfe spezialisierte Galerie, was einst Fehlfarbe, Gag oder verheimlichtes Lieblingsobjekt ihrer Hersteller war. Dabei sind die Dinge durchaus von Nutzen. Mit ihnen ließe sich eine Wohnung fast konventionell einrichten - es fehlt nur das Bett. Ein „Atomschrank“ sorgt für die Verwahrung wertvoller Geheimnisse, Änni von Mühlenen entwarf ein „Service-Girl“, das halb Teewagen, halb Büste einer Schaufensterpuppe ist, der praktischerweise das Gehirn amputiert wurde. Vom Hochzeitskleid, das sich auch als Gardine verwenden läßt, über plagiatverhindernde Schreibtische bis zum Utensil für den Nachttisch, den „Verhütungsdosen“ von Peter Engel, führt das Einrichtungshaus alles, was sich Ehepaare für ihr Eigenheim wünschen könnten.
Das ist Zufall. Eigens für die Ausstellung angefertigt wurden nur die „ökologisch“ leuchtenden Zimmerpflanzen und der „Experimentelle Altar/Meßtisch“ von Florian Trümbach und Paul M.Graves, in dem Trümbachs vergangene sakrale Blut -Performances zwischen Plexiglas ihre Verdinglichung erleben: Ratten in bunter Flüssigkeit eingelegt, Ochsenzungen und Kitschhunde und ein gekreuzigter Jesus darf natürlich auch nicht fehlen.
Das alles ist quietschbunt und paßt wunderbar zum Zeitgeschmack, zu hiphopen Kopftüchern, airgebrushten Skater -T-Shirts, waschechten Korallfarben und was neuerdings sonst noch so Mode ausmacht, die in Plüschkneipen und vom Designerschwarz befreiten Wohnzimmern getragen wird. Dabei entstand ein Großteil der Exponate zu Zeiten, als noch die Ästhetik des „Häßlichen“ ihren Ausdruck in Objekten aus postindustriellen Abfällen fand. Wie ein Denkmal für die Veteranen des vergangenen Epöchleins steht gleich am Eingang der „Gießkannenstuhl“ von Volker Nikel. Sein rostiger Rücken streckt sich empor, als ob er Schmerzen hätte, und führt in eine greisenhaft trotzig gereckte, ebenso rostige Gießkanne. Der vermeintliche Veteran entpuppt sich beim Lesen des säuberlichen Schildchens als Frischling aus dem Jahre 1990. Die verarbeiteten Gegenstände kommen allerdings aus Dresden, Leipzig und Ost-Berlin, und das ist, neben all dem West-Pop, ziemlich gemein.
Die eigentlichen Kuriositäten machen erst die Geschichtchen drumherum aus. Die werden nicht ohne weiteres preisgegeben. Wer hören will, muß fragen. Von den schellackimitierenden Handtaschen im Schallplattenformat von Schrader und Skoda, Herstellungsjahr 1982, wird erzählt, daß bislang nur zwei Exemplare verkauft wurden, obwohl sie in der 'Bravo‘ als Bestellartikel abgebildet waren. Diese zwei Stück gingen über den Ladentisch von Skodas New Yorker Filiale an Grace Jones. Christoph Ernsts Stahlleuchter war einst zweiter Preis des Münchner Wettbewerbs „Objekt und Design“ und wurde vom Gewinner dem Künstler mit der Begründung zurückgegeben, daß die Ehrung einfach zu häßlich sein.
Diese sagenumwobene Reliquie befindet sich im hintersten Kabinett der Galerie. Von schwarzem Tuch umhüllt erheben sich dort auf Sockeln die sensibleren Gegenstände, die farblose Ruhe brauchen und in dem kunterbunten Wohnzimmer hoffnungslos untergehen würden. Katharina die Große schüttelt zufallsgeneratorgesteuert ihr edles Haupt und in zwei mit Leinöl gefüllten Gläsern dümpeln Donald Duck und Daniel Düsentrieb vor sich hin, seit ihr Besitzer sechzehnjährig sie dort eingesperrt hat. Das war vor vierzehn Jahren.
Das Kabinett schluckt auch die Besucher ganz und gar. In den vorderen Räumen des Souterrains wurden sie einfach mit ausgestellt. Denn an den Fensterscheiben drücken sich in gebückter Haltung die Passanten die Nasen platt, und besondere Aufmerksamkeit schenken den Kuriositäten lachende Busfahrer, die vor dem Haus an der Ruhehaltestelle Pause machen. Wer sich auf Kunstschauen gern selber ausstellt, sollte hier unbedingt aufsehenerregendes Schwarz tragen.
Claudia Wahjudi
„Kuriositäten“ in der Galerie Contra Forma, Gneisenaustraße 113, noch bis zum 30.April zu besichtigen und zu kaufen, Montag bis Freitag von 15 bis 19, Samstag von 11 bis 14 Uhr.
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