: Der Popanz vom fremden Legionär
■ Taz-Gespräch mit Detlev Michelers, Bremer Autor, über sein neues Buch von der Fremdenlegion
„Le Boudin“ heißt das neue Buch des Bremer Autors Detlef Michelers. Es erzählt sorgsam recherchierte Geschichten von deutschen Fremdenlegionären der Nachkriegszeit. Heute abend wird „Le Boudin“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Die taz sprach mit dem
Autor.
taz: Was ist „Le Boudin“?
Detlef Michelers: Die „Blutwurst“ oder der „blöde Scheißer“, die „Hure“, im Bergbau die „Zündschnur“ - und „Le Boudin“ ist das Marschlied der Legion.
Wohin marschiert die Legion?
Zum Verheizen braucht man sie heute nicht mehr. Sie ist modernisiert worden, eine Art schneller Eingreiftruppe, alles hochspezialisierte Leute.
Wie ist es denn zu deinem Buch gekommen?
In den Zeitungen ist immer wieder zu lesen, daß Ex -Legionäre Witwen erschlagen haben und sonst schwer Kriminelles tun. Es gibt den Mythos vom Legionär als Verbrecher von Haus aus. Ich wollte wissen, was daran überhaupt wahr ist, ob da nicht vielleicht ein Popanz aufgebaut worden ist.
Deshalb habe ich bundesweit eine Anzeige veröffentlicht: „Autor sucht Ex-Legionäre“. Dreißig haben geantwortet.
Bremer darunter?
Ja, zwei Männer und, zu meiner Verblüffung, auch eine Frau, deren Ehemann sie mit Kind hat sitzen lassen. Alle dreißig habe ich habe ich ausführlich befragt, acht beispielhafte Biographien habe ich für das Buch ausgewählt.
Die Recherchen waren nicht immer ganz einfach. Es kommt vor, daß sich die Leute in ihrer Einzelkämpfer-Welt verkriechen. Einer ließ mich vor unserem Termin von Kumpeln observieren, wohl aus unsinniger Angst vor Häschern der Legion - und kaum hatten wir ein paar Worte gewechselt, schlug er seine Jacke zurück und zeigte mir seine Wumme, einen alten Colt, den er eingesteckt hatte für alle Fälle. Aber das ist die Ausnahme.
Was suchen Männer bei der Legion?
Meist handelt es sich um Versprengte aus, naja, subproletarischen Schichten, Männer, die ein bißchen Leben suchen, das Abenteuer, auch die Gewalt - oder einfach Schutz, auch natürlich vor Strafverfolgung. Andererseits ist bei der Legion keiner was geworden.
Was finden Männer bei der Legion?
Ein Vater-Land und mütterlichen Schutz. Eine eigene Welt, worin sie abgeschieden leben. Die Legion gibt keinem Auskunft, wer und wo du bist, ihr Schutz ist lückenlos.
...auch vor „der Frau“?
Auch vor der Frau. Sie kommt als Bild vor; wie immer in Männergesellschaften als Engel und Hure. Da ist der Mann wie ein Kind, und die Legion ist Mutter und Vater zugleich. Die Offiziere etwa leben mit Weib und Kind oft außerhalb der Kasernen, die „Jungs“ dagegen leben drinnen alleine.
Wie adoptiert?
Ja. An Weihnachten, dem großen Fest der Legion, machen die Legionäre ihren Offizieren Geschenke, wie brave Söhne, die ihren gestrengen Vätern danken. Sie haben eine regelrechte Krypta für gefallene Offiziere, sie verehren Helden -Reliquien - und zu dieser fast religiösen Mythologie gehört auch das Geheimnis „Afrika“. Das ist ein Synonym für sehr viel: Hitze und Wüste und Urmutter, Himmel, Schlamm
und wilde Tiere.
Deine Zeugen waren vor allem in den Fünfziger Jahren in der Legion. Damals ging ein besonders starker Reiz von ihr aus. Steckt vielleicht ein Erschrecken dahinter, der Schreck einer nach dem Faschismus plötzlich demobilisierten Gesellschaft?
Ja. Denk nur dran, wieviele Männer ihre Jugend im Krieg verloren haben. Häufig haben sie diesen Verlust hinterher zu einem Abenteuer verklärt, und viele haben dann die Flucht in das „Abenteuer“ Legion angetreten. Was sie, soweit ich nun weiß, jetzt auch wieder verklären. Dabei war es für alle eine dreckige, üble Zeit, und die meisten, die ich befragte, leben immer noch, wie sie vor der Legion auch gelebt haben.
Opfer?
Nun ja, es sind alle freiwillig gegangen. Benutzt worden sind sie allerdings, ich sage mal: vom hysterischen deutschen Mann der Fünfziger, und zwar als Popanz, als fremdes, ausgegrenztes Verbrechen. Da blieb der deutsche Mann als Saubermann zurück, welcher aufbaut und die mörderische Vergangenheit, den Faschismus vergißt.
Interview: scha
Detlef Michelers‘ Buch „Le Boudin“ erscheint im Steintor -Verlag und kostet DM 29.80.
Heute abend stellt der Autor sein Buch der Öffentlichkeit vor: um 20 Uhr in der Stadtbibliothek, Bremen-Neustadt, Friedrich-Ebert-Str. 101-105.
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