: Madagaskar
■ betr.: "Das Streichholz und die Weltbank", taz vom 27.3.90
betr.: „Das Streichholz und die Weltbank“, taz vom 27.3.90
Ich habe mich sehr gefreut, einen Bericht aus meiner Heimat Madagaskar hier in der Zeitung zu finden. Viele Probleme wie Armut, Brandrodung durch die Kleinbauern und Bodenerosion hat Christa Wichterich drastisch und richtig benannt. Wie sie sich an Madagaskar annähert, sogar die Ortsnamen so schreibt, wie eine Deutsche sie hört, ist auch für mich interessant.
Nicht so zum Schmunzeln finde ich ihre Darstellung der madagassischen Bevölkerung, die einfach weiter zu viele Kinder in die Welt setzt und so Rabbau an der Natur treiben muß, um alle zu ernähren. Sicher gibt es da ein Problem, aber die Madagassen sind doch nicht zu dumpf, es zu verstehen und zu regaieren. So wurde zum Beispiel noch eine Generation vor mir bei einer Hochzeit der traditionelle Glückwunsch ausgespochen: Ich wünsche Euch sieben Jungen und sieben Mädchen. Bei meiner Hochzeit hatte sich dieses Sprichwort schon gewandelt; die meisten Gäste wünschten mir einen Jungen und ein Mädchen. Ich glaube, so ein Hinweis auf Veränderungen in der Mentalität macht am besten deutlich, wie eine lebendige Gesellschaft auf neue Bedingungen reagiert. Vielleicht ist dies noch nicht genug, aber vergleichen wir es doch einmal damit, inwieweit die mentale Einstellung der Deutschen zum Auto den heutigen Bedingungen Rechnung trägt, bevor wir eine ganze Nation als Objekt der Hilfe des Nordens überantworten.
Auch gegenüber der im Artikel zu Recht kritisierten Brandrodung von Waldstücken durch Wanderbauern entwickelt sich im Land selbst eine Kritik, die diese traditionelle Bodenbewirtschaftung angesichts der nicht mehr eingehaltenen Regenerationsphasen des Waldes neu überdenkt und beginnt, über die gesellschaftliche Akzeptanz das Verhalten der Bauern zu verändern. Ohne Wald kein Wasser, ohne Wasser kein Reis - ihr zitiert dies heute schon als madagassisches Sprichtwort, obwohl nur die zweite Hälfte wirklich ein altes Sprichwort ist; der Vorsatz stammt aus einer Aufklärungskampagne. Auch eine unserer bekanntesten Musikgruppen, Rossy, hat nun ein Lied gegen Brandrodungen gemacht. Dies geht weit über die bloße Propaganda eines Gedankens hinaus, denn die Volksmusik lebt nur als Ausdruck des Denkens und Fühlens im Volk.
Wenn ich den Artikel lese, bekomme ich den Eindruck, daß all das, was die Madagassen selbst tun und wissen, unter den Tisch fällt. Wieso soll der medizinische Nutzen vieler Pflanzen noch völlig unerforscht sein? Es gibt eine sehr große Anzahl von Pflanzen, die als Naturheilmittel eingesetzt werden, und diese Kenntnisse existieren trotz ihrer Unterdrückung in der Kolonialzeit auch heute noch. Neben den auf fast jedem Markt zu findenden Heilmitteln existieren noch eine Vielzahl von regionalen Besonderheiten, die bis zur geheimnisumwitterten Zauberei reichen. All das, was madagasischen Schamanen bekannt ist, ist nur für die Arzneimittelkonzerne so unbekannt, daß das Institut Pasteur aus Paris seine Wissenschaftler beauftragt, unsere einheimischen Mediziner zu begleiten.
Umgekehrt erscheinen mir die Weltbank zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds in dem Artikel viel zu unkritisch als Retter der Natur, die zudem die Bevölkerung mit ihrer Umwelt aussöhnen wollen. Für diese Institutionen ist Naturschutz doch die Realisation eines Projekts in einem Reservat. Wenn die von diesen Institutionen erzwungene Preispolitik, insbesondere die Abschaffung der Subventionierung von Reis, den Lebensstandart der Bevölkerung so senkt, daß zum Beispiel meine Mutter sich die Gasflaschen für den vorhandenen Gasherd nicht mehr leisten kann und wieder mit Holzkohle kocht, dann hat das offiziell nichts mit erzwungenem Raubbau an der Natur zu tun. Aber sollten nicht wenigstens die Naturschutzprojekte einmal im Detail untersucht werden, ob sie mehr mit dem Erhalt von Genreserven für die Zukunft des Nordens oder mit der Existenzsicherung der madagassischen Bevölkerung zu tun haben?
Der Tourismus soll nach dem Willen der Weltbank als Entwicklungsmotor für Madagaskar laufen. Ein großer deutscher Pauschalreiseveranstalter hat auf der Insel Nosy Be seine Strände mit dem Gift DDT besprüht, um seine Touristen vor dem afrikanischen Sandfloh und anderen Insekten zu schützen. Ist das Entwicklung und Fortschritt für Madagaskar?
Die paar Bemerkungen über Wirtschaft und Politik bestehen, der Kürze halber gleich ohne Begründung, eigentlich nur aus Vorurteilen. Warum in dem Artikel, der ja hauptsächlich ökologisch orientiert ist, der frühere Versuch von Präsident Ratsiraka, einen madagassischen Sozialismus aufzubauen, ohne jede positive Seite als staatliche Mißwirtschaft abgeschrieben wird, ohne daß ökologische Auswirkungen thematisiert werden, ist mir wirklich unverständlich. Jedenfalls ist Madagaskar eine Präsidialdemokratie nach französischem Vorbild, und Ratsiraka ist gegen ein Opposition, die noch mehr Marktwirtschaft forderte, im März 1989 erneut zum Präsidenten gewählt worden - nur einer, der auch kandidieren wollte, wurde zum allgemeinen Amüsement nicht zur Wahl zugelassen: der deutschstämmige und parteilose Raphael Kreutzer. Bei dieser Wahl habe ich in Ambositra, der Stadt, wo der Artikel seinen Ausgang nimmt, in mehreren Wahllokalen Fotos von der öffentlichen Auszählung der Stimmen gemacht. Während der aus dieser Region stammende Spitzenkandidat der konkurrierenden MFM/MFT Manandafy in der Stadt meist mehr Stimmen als Ratsiraka erhielt, hat Ratsiraka in der Region Ambositra gewonnen. Überall war es die städtische Bevölkerung, die das Geschäft und die Opposition gewählt hat, die Stimmenmehrheit und die Wiederwahl verdankt Präsident Ratsiraka der Landbevölkerung. Sind es denn nun die BäuerInnen aus dem Hochland Madagaskars, die vom Sozialismus die Nase gestrichen voll haben, wie Christa Wichterich es schreibt - oder handelt es sich bei dieser Bewertung vielmehr um eine Meinung aus der Redaktion der taz?
Fara Olga Razanalisoa, Bochum
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