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Karl Marx: „Chemnitz finde ich gut“

Auszählung der Bürgerbefragung über den Namen Chemnitz für Karl-Marx-Stadt hat begonnen / Initiatoren rechnen mit großer Mehrheit für Chemnitz / Rechtliche Bedenken in letzter Sekunde vorgebracht / Briefträger sabotierten / Kommune sucht noch nach einem Geldgeber  ■  Von Petra Bornhöft

Karl-Marx-Stadt (taz) - Die Auszählung der schätzungsweise 180.000 Stimmkarten hatte gestern früh kaum begonnen, da gaben sich die Organisatoren schon zuversichtlich. „Wir rechnen mit einem eindeutigen Votum für Chemnitz“, erklärte der kommunale Beauftragte für die Befragung, Andreas Feige (33), in Karl-Marx-Stadt gegenüber Journalisten. Der Ort, den das SED-Politbüro 1953 im republikweiten Karl-Marx-Jahr

-der Gute war gerade 135 Jahre alt geworden - mit eben jenem Namen „ausgezeichnet“ hatte, wird mit „Beginn der Länderreform“ seinen Namen aus dem 12. Jahrhundert wieder erhalten. Voraussetzung, so Feige, „mindestens 50,1 Prozent entscheiden sich dafür.“

Unumstritten ist die Aktion nicht. Die in letzter Sekunde aktiv gewordenen Gegner kamen auf leisen Saboteurssohlen und mit etwas Druckerschwärze in die Arbeiterstadt. So mußte die Befragung - seit Anfang des Monats sollte die Post 251.000 Stimmkarten verschicken - um einen Tag verlängert werden. Einige Briefträger, berichtet Amtmann Feige, „hätten subjektiv entschieden, daß diese Post zu verschicken nicht ihre vordringliche Aufgabe sei.“ Mittlerweile habe sich die Post offiziell entschuldigt und disziplinarische Maßnahmen eingeleitet.

Aus einer anderen Ecke, dem neuen 'Unabhängigen Wochenblatt‘ für Karl-Marx-Stadt, forderten am vergangenen Freitag zwei Journalisten die „Annullierung der Befragung“. Sie widerspreche „elementarsten Rechtsgrundsätzen“, weil nicht festgelegt sei, daß mindestens 50 Prozent der Stimmberechtigten teilnehmen müßten, es fehlten eine vereidigte Wahlkommission und nummerierte Wahllisten.

Dagegen hält Feige: „Es ist keine Wahl, sondern eine Bürgerbefragung, für die es in der DDR keine präzise Rechtsgrundlage gibt, aber der Runde Tisch hat unser Verfahren gebilligt und unterstützt.“ Im Übrigen hätten sich schätzungsweise zwei Drittel der Abstimmungsberechtigten beteiligt. Gegen Fälschungen sei man gewappnet. Gestern mittag wollte der Drucker anhand von Stichproben prüfen, ob die weißen Zettel alle das eingedruckte „g“ - „eine Schrifttype seines Großvaters“ - haben.

Bis zu dieser Kontrolle raschelte es gewaltig in der Kantine des Ex-Stasi-Gebäudes. Rund 100 ZählerInnen öffneten die Briefe und sortierten die Karten in Plastikwannen: grün für Chemnitz, weiß für Karl-Marx-Stadt und beige für die ungültigen.

Zu den ungültigen Voten zählen auch Briefe und Postkarten, die Andreas Feige dutzendweise empfangen hat. Darin halten sich Gegner und Befürworter die Waage: „Chemnitz ist meine Geburtsstadt. So soll sie heißen“, „Ich bin für Karl-Marx -Stadt, was kann Karl Marx dafür, daß sich unsere Regierung bereichert hat“, „Karl-Marx-Stadt, alles andere ist beleidigend für diesen großen Humanisten“.

Das sehen Andreas Feige und seine MitarbeiterInnen denn doch nicht so streng. Im sonst schmucklosen Flur vor ihren Büros steht auf einem Plakat mit dem Kopf des Philosophen: „Chemnitz finde ich gut“. Das ist so ungefähr der einzige Hinweis der Stadt auf die Aktion.

Keine politische Partei hat sich offensiv zu Wort gemeldet, auch die PDS hüllte sich in Schweigen. Die Zeitungen schweigen das Thema nahezu tot. Zertsritten brummelte der „Heimatverein“, der im November das Projekt gestartet hatte, vor sich hin. Auch der Oberbürgermeister, der noch vor der Jahreswende die geschätzten Kosten von 200 Millionen Mark ins Feld führte, gab letzlich klein bei.

„Das war zu einem Zeitpunkt, als noch gar nicht über die Wiedervereinigung der Länder geredet wurde“, erklärte Feige, „wir gehen davon aus, daß die Umbenennung 1953 unrechtmäßig war und der Verursacher dafür aufkommen muß, so daß die Kommune nicht belastet wird“. Bekanntlich gibt's den Verursacher nicht mehr, allenfalls noch das Prinzip Hoffnung. So wird denn wohl die Stadtverordnetenversammlung die Regierung bitten, den alten Beschluß aufzuheben „und im Zuge der Länderreform den Namen Chemnitz freizugeben“.

Wer dann zahlt, ist unklar. Vielleicht auch Dresden und Leipzig, die sich 1953 geweigert haben sollen, den heute so unbeliebten Namen zu bekommen. Das amtliche Stimmergebnis in Karl-Marx-Stadt wird für heute mittag erwartet.

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