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Die Vertreibung aus dem Paradies

■ DDR-Hörfunk strebt Strukturreform an / Mitarbeiter bangen um Arbeits- und Sendeplätze / Jugendradio bleibt

Im Haus des Rundfunks der DDR in der Berliner Nalepastraße geht wieder die Angst um. Vor zwei Monaten jubelten die Redakteure noch über die „paradiesischen Zustände“ nach der Wende, die es ihnen endlich erlaubten, das zu senden, was sie schon immer wollten. Schneller als beim Fernsehen hatten sich gleich nach dem 9.November Redakteursräte gebildet, ungeliebten Intendanten wurde das Vertrauen entzogen und neue Führungsköpfe eingesetzt. Doch nach diesen ersten Monaten der Befreiung kommt jetzt allmählich die Ernüchterung.

Fünf nationale Hörfunkprogramme gibt es in der DDR: den Berliner Rundfunk (BR), das Jugendradio DT 64, den Deutschlandsender, und Radio DDR (ehemals Stimme der DDR) mit zwei Programmen (DDR 1 und 2). Dazu kommen noch zwölf Regionalprogramme und Radio Berlin International, das Auslandsprogramm der DDR. Jeder Sender hatte seinen eigenen Direktor, der dem Generalintendanten untersteht. 4.000 Menschen zählt der gesamte Hörfunkbetrieb, inklusive Friseur, Möbeltischlerei und aufgeblähtem Verwaltungs- und Kontrollapparat. Doch jetzt, wo die deutsch-deutsche Vereinigung auch auf medialer Ebene nicht mehr aufzuhalten ist, und mit Blick auf die ungeklärte Finanzsituation wird auch dem letzten Tontechniker allmählich klar, daß das alles nicht so bleiben kann. Bei einem vage prognostizierten Haushaltsdefizit von 80 Millionen Mark für das kommende Jahr gilt es den Rundfunk auf ein effizientes, finanzierbares Maß „abzuspecken“, um im Wettbewerb mit westlichen Sendern, die ihr grenzüberschreitendes Programm beizeiten auf DDR -Hörerwünsche umstellen, bestehen zu können.

Der neue Generalintendant Manfred Klein, ehemaliger Nachrichtenchef beim DDR-Funk, hat letzte Woche ein umfassendes Konzept zur Neustrukturierung des Hörfunks vorgelegt, das bis zum Juli verwirklicht werden soll. Danach soll Radio DDR 1 als nationaler Informationskanal erhalten bleiben, wobei ein Großteil des Programms von den zukünftigen Landesrundfunkanstalten beigesteuert wird. DT 64, das ungestüme, jüngste Kind in der altväterlichen DDR -Rundfunklandschaft, darf wegen seiner Beliebtheit bleiben, wie und wo es ist. Die angestrengt anspruchsvolle Kulturwelle dagegen wird es auf ihrem angestammten Platz auf DDR 2 nach dem Willen des Radio-Chefs dort nicht mehr geben. Geplant ist eine „Symbiose“ mit dem Deutschlandsender (DS), einem Pendant zum bundesdeutschen Deutschlandfunk (DLF), aus der ein 24stündiger Kulturkanal auf der DS-Frequenz hervorgehen soll. Die freiwerdende DDR 2-Frequenz soll in Zukunft den Regionalprogrammen zur Verfügung stehen.

Doch gerade an diesem Punkt regt sich zunehmender Unmut in den Redaktionsstuben. Die Rundfunkmitarbeiter des Senders Radio DDR, die ihrerseits mit einem „Memorandum für eine alternative Rundfunkkonzeption“ an die Öffentlichkeit gingen, befürchten, daß hier heimtückisch ein verdientes Kulturprogramm wegrationalisiert werden soll. Symbiose? Aber wie, wenn sich bei Deutschlandsender und DDR 2 unvereinbare Programmangebote gegenüberstünden mit einem „auf BRD-Hörer orientierten Mischpogramm (DS) und einem ausgesprochenen Kulturprogramm mit einzigartigem Angebot“. Sie schlagen denn auch eine andere Frequenzverteilung vor, die Radio DDR 2 einen 24stündigen Sendeplatz sichert, dem Berliner Rundfunk allerdings die nationale Ausstrahlung auf UKW kosten würde.

So werden Programmplätze eifrig hin- und hergeschoben, um zusätzliche Regionalprogramme unterzubringen, für die nach 40jähriger zentralstaatlicher Lenkung in den wiedererstandenen Ländern Sachsen, Thüringen oder Mecklenburg ein besonderes Bedürfnis zu herrschen scheint. Von konkreten inhaltlichen Konzeptionen ist dabei allerdings so selten die Rede wie von der Möglichkeit, daß bestimmte Sendeformen in einer neugestalteten Republik überflüssig geworden sein könnten. Noch geht es um den Erhalt des gesamten Apparates in einer modifizierten Form. Entsprechend vorsichtig sind auch die Äußerungen des stellvertretenden Hörfunkintendanten Werfried Maltusch, wenn es um Personalreduzierung geht.

Etwa 200 bis 300 Stellen müßten in Berlin eingespart werden, wobei jedoch ein Teil in den zukünftigen Landesstudios angesiedelt werden könnte. Insgeheim fürchten aber viel mehr Rundfunkmitarbeiter um ihre Posten. Die Personalräte fordern daher im Rahmen der Strukturreform konkrete Pläne über Fragen des Personalabbaus, der Umsetzung, Umschulung und der Vorruhestandsregelung. Der Verband der Kulturschaffenden der DDR, dem die künstlerischen Mitarbeiter des Rundfunks angehören, möchte sogar, daß alle Rundfunkmitarbeiter, die mehr als 20 Jahre im Amt sind, unkündbar werden.

Bislang ungeklärt bleibt auch die Frage nach etwaigen Fusionen oder zumindest Kooperationen mit westlichen Sendern. Eine Zusammenarbeit beispielsweise mit dem SFB, zumindest was die gemeinsame Nutzung von Produktionsstätten anbetrifft, könne man sich vorstellen, ebenso wie gemeinsame Sendungen mit DT 64, die schon heute zum Alltag gehören. Wie allerdings eine Gesamtberliner Rundfunklandschaft aussehen könnte, in der der SFB mit vier Regionalprogrammen mit dem Berliner (DDR-)Rundfunk konkurriert, neben dem Rundfunk im Amerikanischen Sektor (RIAS) mit zwei Programmen und drei privaten Berliner Lokalsendern, darüber schweigen sich die DDR-Verantwortlichen beharrlich aus.

Derweil gehen westdeutsche Hörfunkanbieter mit verlockenden Angeboten in den maroden Rundfunkhäusern der DDR hausieren. Antenne Bayern beispielsweise, landesweiter Privatanbieter in Bayern, möchte das Leipziger Landesstudio gern zur Gründung einer gemeinsamen Betriebs-GmbH überreden. Den Ausbau des attraktiven Messestandorts würde sich der bayrische Sender einiges kosten lassen, und die Aussicht auf modernste High-Tech-Ausstattung läßt so manchen nach Autonomie strebenden Rundfunkmacher wankelmütig werden.

Der DLF, der in immer ärgere Legitimationsprobleme gerät, hat jetzt Radio DDR 2 ein großzügiges Angebot gemacht. DLF -Intendant Gruber will das DDR-Kulturprogramm 18 Stunden lang über den Fernmeldesatellit Astra abstrahlen. Für DDR -Bürger ist das bislang zwar gänzlich uninteressant, denn für Satellitenempfang sind nur einige wenige Privilegierte gerüstet, und außerdem ist das Programm ohnehin terrestrisch zu empfangen. Aber über Astra wäre das ambitionierte Kulturprogramm wunderbar in bundesdeutschen Kabelhaushalten und im europäischen Ausland zu empfangen, sofern es dort jemand hören will. Und das alles gratis, denn die Satellitennutzungsgebühren, die in die Millionen gehen, will der DLF übernehmen. Fragt sich nur, was hinter der Großzügigkeit des aus Bundesmitteln finanzierten DLF steckt, wo er doch bislang den Auftrag hatte, DDR-Bürger über die wahre Lage in Deutschland zu unterrichten und nicht etwa, Programme aus „Feindesland“ zu verbreiten.

Aber wo kein Feind mehr ist, muß man die frischernannten Freunde beizeiten zu Bündnispartnern machen, bevor jemand merkt, daß man überflüssig geworden ist.

Ute Thon

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