: Chamorro und Ortega in einem Boot
Beim ersten friedlichen Machtwechsel in Nicaragua setzt die neue Regierungschefin Zeichen der Versöhnung mit den Sandinisten / Bei der Allianz „Uno“ kann sie nicht mehr auf Unterstützung aller 14 Parteien rechnen / Die Armee soll verkleinert, die Militärpflicht abgeschafft werden ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Die Amtsübergabe in Nicaragua, die das Ende der sandinistischen Ära markiert, verlief Dienstag ganz im Zeichen der Versöhnung. Zehn Staatsoberhäupter und zweitausend Ehrengäste wohnten dem ersten friedlichen Machtwechsel in der Geschichte des Landes bei. Die neue Präsidentin Violeta Chamorro kann sich allerdings nicht mehr der Unterstützung aller 14 Parteien ihrer Regierungsallianz sicher sein, seit es im Bündnis bereits zum offenen Bruch gekommen ist.
Im überfüllten Baseballstadion von Managua herrschte Länderspielatmosphäre. Die Anhänger der „Uno“ mit ihren blau -weißen Fähnchen, saßen getrennt von den Sandinisten mit rot -schwarzen Flaggen. Während die einen der kubanischen Delegation applaudierten, ließen die anderen US -Vizepräsident Quayle hochleben.
In seiner letzten Ansprache als Staatschef schlug Daniel Ortega versöhnliche Töne an und versprach, konstruktive Opposition zu üben. Gleichzeitig warnte er aber in einer Anspielung auf die Gruppe um Virgilio Godoy vor „extremistischen Minderheiten, die glauben, es wäre die Stunde gekommen, die Köpfe der Sandinisten rollen zu lassen“.
Violeta Chamorro stellte ihre künftige Politik vor, nachdem sie von Ortega die Präsidentenschärpe umgehängt bekam. Mehr als Gemeinplätze waren allerdings nicht zu erfahren: Ihre Regierung wolle die demokratischen Freiheiten konsolidieren, die Produktion fördern, die sozialen Ungleichheiten verringern und auf nationale Versöhnung hinarbeiten. Frau Chamorros erstes Dekret ist eine Generalamnestie für alle wegen politisch motivierter Verbrechen verurteilte oder angeklagte Nicaraguaner. Dann erfüllte sie ihr Versprechen aus dem Wahlkampf und verkündete, daß Rekrutierungen für den Wehrdienst beendet werden.
Die Armee wird verkleinert und das Militärbudget reduziert. Den Plan für den Truppenabbau soll der bisherige Verteidigungsminister und FSLN-Comandante Humberto Ortega vorlegen, der Armeechef bleiben soll, bis die Demobilisierung der Contras und die Entwaffnung der Milizen abgeschlossen ist. Als Oberbefehlshaberin der Armee übernahm die Präsidentin auch das Verteidigungsministerium. Gegen das Verbleiben des sandinistischen Generals lief der ultrarechte Flügel der „Uno“ seit Wochen Sturm.
Die Abberufung Humberto Ortegas an die Entwaffnung der Contras zu knüpfen ist ein kluger Schachzug, der den Demobilisierungsprozeß beschleunigen kann. Denn bisher haben die Antisandinisten nicht begonnen, das Abkommen vom 19. April zu erfüllen. Nach diesem zwischen der Contra, der alten und der neuen Regierung ausgehandelten Plan, sollen sich die rund 8.000 in Nicaragua herumziehenden Kämpfer bis spätestens zum 25. April in sieben Sicherheitszonen sammeln.
Die Friedenstruppen der Vereinten Nationen verpflichteten sich, dort die Waffen entgegenzunehmen und an Ort und Stelle zu vernichten. Spätestens am 10. Juni soll die Entwaffnung abgeschlossen sein. „Wir warten auf Befehle des Oberkommandos“, geben die Truppkommandanten zur Auskunft, die sich im Norden und Osten Nicaraguas schon wenige Kilometer außerhalb der Städte zeigen. Der Oberkommandierende der Contra, Israel Galeano, alias Franklyn, traf sich vor wenigen Tagen mit einer Delegation der UNO-Truppen und erklärte, daß er erst dann an eine Demobilisierung denke, wenn die Sandinistische Armee aufgelöst sei. Und noch am selben Tag attackierte eine Contra-Einheit einen Armeeposten 170 Kilometer nördlich von Managua.
Auch die Vereinten Nationen scheinen es nicht eilig zu haben. Lange nachdem die sandinistischen Militärs abgezogen waren, richtete sich am Montag das erste Bataillon der Friedenstruppen, das aus Venezuela kommt, in einer der sieben Sicherheitszonen ein. Doch statt sich dort zu sammeln, begannen die Contras, die Bauern der umliegenden sandinistischen Kooperativen zu entwaffnen und die Gewehre an ihre Sympathisanten weiterzugeben.
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