: Der Koran als Comic strip
■ Youssef Seddik hat den Koran für Kinder gezeichnet, nun wird er in Tunesien der Blasphemie beschuldigt
Das religiöse Establishment Tunesiens beschuldigt ihn, moslemische Jugendliche zu korrumpieren. Theologen in Kuwait sagen, er versuche, den Islam zu christianisieren, und sei der Blasphemie schuldig. Arabische Journalisten bezeichnen ihn als Handlanger des israelischen Geheimdienstes Mossad. Aber der 47jährige in Tunesien geborene Youssef Seddik weist all das zurück und sagt, seine Arbeit sei einzig und allein dem Islam gewidmet.
Seddiks Handlung - ein Verbrechen in den Augen vieler, applaudiert von nur wenigen - bestand in der Veröffentlichung von Si le Coran m'etait conte (Wie der Koran mir erzählt wurde), einer Comic-strip-Version des heiligen Buches des Islam, die es für Kinder zugänglicher machen will.
Natürlich konnte es nicht ausbleiben, daß die Presse ihn bald mit Salman Rushdie verglich. Innerhalb weniger Tage nach der Veröffentlichung in Paris am 15. Januar schlossen sich auch religiöse Führer aus Marokko dem Chor der Empörung an. Es sei „ein gravierender Fall von Blasphemie“. Die einflußreiche und mächtige Liga Islamischer Lehre in Marokko (LISM) wies Buchhändler an, die illustrierte Fassung des Korans zu boykottieren, und forderte die Regierung auf, „bezüglich dieser Angelegenheit entsprechende Maßnahmen zu treffen“. Es wurde bestätigt, daß zur Zeit der Aufforderung der Liga an die Buchhändler nicht eines der Mitglieder das Buch gesehen hatte; dennoch ließ jeder einzelne verlauten, das Buch verzerre die heiligen Verse des Korans. Der marokkanische Klerus folgte damit blind seinen tunesischen Kollegen, die das Buch als erste verdammt hatten.
Der tunesische Mufti, Scheik Muhammed Mukhtar As-Salamie, wies Eltern an, ihren Kindern das Buch nicht zu geben. Der Mufti, autorisiert zur Fatwa beziehungsweise religiösem Urteilsspruch, ist Präsident des Hohen Islamischen Rates, dessen Mitglieder von der Regierung bestellt werden. Tröstlich für Youssef Seddik und die französischen Behörden ist nur, daß die Regierung selbst nicht als antiwestlich gilt und vermutlich nicht aus politischer Opportunität die islamische Karte ausspielen wird, vor allem nicht gegen französische Verleger.
Aus Kuwait hörte man dagegen härtere Töne. Ein Theologieprofessor an der Universität sagte auf einer öffentlichen Versammlung, das Buch sei Anathema, und verglich Seddik mit dem Autor der Satanischen Verse, Salman Rushide. Dies alarmierte den Autor. Am 17. Januar hielt er eine Pressekonferenz in Tunis ab und erklärte, das Verhalten des kuwaitischen Hochschullehrers sei nichts anderes als eine Morddrohung gegen ihn. Bei anderer Gelegenheit fügte er hinzu, daß der Professor vom Standpunkt der Gesetze des Korans im übrigen „völlig falsch liegt“. Seddik hat seine Entscheidung, eine Comic-strip-Fassung des Korans für Kinder zu veröffentlichen, immer wieder mit dem Argument verteidigt, daß das Buch theologisch vollkommen korrekt sei. Tatsächlich hat der Autor bereits 1985 islamische Autoritäten konsultiert und eine erste, bereits fertiggestellte Fassung nach Beratung einstampfen lassen (15.000 Exemplare); diesen beträchtlichen finanziellen Verlust zahlte er aus eigener Tasche. Von pädagogischen Experten für Kinderliteratur wird dem Buch ein hoher Wert beigemessen. Die ersten drei Bände (insgesamt sieben sind geplant) umfassen jeder 50 Seiten; nach Ansicht des Autors finden Kinder die Geschichten des Korans als Comic strip „leicht verständlich und spannende Lektüre“. Die offizielle Haltung Tunesiens weicht von der des Hohen Islamischen Rates ab. Für die Pressekonferenz in Tunis erhielt Youssef Seddik Polizeischutz von tunesischen Behörden. Auf eine entsprechende Anfrage nach einem möglichen Verbot des Buches antwortete man, die Frage sei völlig hypothetisch, da kein tunesischer Verleger bisher eine Lizenz zur Publikation des Buches beantragt habe.
Ähnlich wie die Satanischen Verse war nach Auskunft der Pariser Buchhandlung im Institut du Monde Arabe Seddiks Buch nur wenige Tage nach der Veröffentlichung bereits ausverkauft; eine zweite Auflage sei geplant, das Datum stehe noch nicht fest. Historisch gesehen, ist die Frage der Illustration schon immer ein Streitpunkt gewesen. Bis in das 17. Jahrhundert hinein wurden von türkischen, persischen und indischen Künstlern immer wieder Szenen aus dem Leben des Propheten Mohammed dargestellt, einschließlich seines Entschwindes in den Himmel von Jerusalem auf seiner menschengesichtigen Stute Alburaq.
Dr. Zaki Badawi, ein angesehener Lehrer und Dekan des Moslemischen Colleges von London und Generalsekretär des British Council of Mosques, kommentierte, daß Diktatoren in islamischen Ländern offenbar reaktionäre und traditionalistische Kreise des islamischen Klerus ermutigen, die prinzipiell gegen ijtihad seien - also gegen Versuche des Individuums, den Koran selber zu interpretieren und eigenständig nachzudenken; dies geschehe offensichtlich aus Ablenkungsgründen. Er fügte hinzu, daß der Versuch des Sultans Selim von 1903, den Koran in hohen Auflagen drucken zu lassen, vom traditionalistischen Klerus ebenfalls als Blasphemie diffamiert worden sei. Aufgrund seiner Beratungen mit islamischen Gelehrten vermied es Seddik, in Si le Coran m'etait conte, den Propheten selbst und die ihn besuchenden Engel abzubilden. Er reinterpretierte das sunnitische Verbot darstellender Kunst und macht geltend, er habe sich auf die farbigen Erzählungen des Korans und ihren historischen Kontext konzentriert und eine Festlegung der religiösen Seite sorgsam vermieden. Eine zusätzliche Quelle des Unmuts sei, so einige islamische Gelehrte, der westliche Stil der Zeichnungen.
Kuwaitische Journalisten - nicht einer von ihnen hat das Buch überhaupt gesehen - beschuldigten Seddik, er wolle die islamische Welt „verwestlichen und christianisieren“. Diese feindselige Atmosphäre jedoch mache ihn nur um so entschlossener, so der Autor, mit der siebenbändigen Ausgabe fortzufahren und im Mai dieses Jahres eine englische Ausgabe erscheinen zu lassen. Seine finanziellen Unterstützer, eine Gruppe algerischer Geschäftsleute, meinen, eine arabische Version sollte möglichst im gesamten Nahen Osten erscheinen können. Der Autor besteht darauf, daß sein Buch „pädagogisch und kulturell wichtig ist und den Jugendlichen helfen kann, ihr heiliges Buch selber zu entdecken, und zwar auf angenehme und moderne Art“. „Der Koran ist nichts, das man Menschen zwangsweise eintrichtern soll“, sagt er, und diese Auffassung teilt auch Doktor Hesham El-Essawy, Vorsitzender des Islamischen Rates zur Förderung religiöser Toleranz; er zitiert dazu den Propheten selbst, der dazu aufgerufen habe, den Menschen mit sanften und angenehmen Methoden zu größerer Gottesnähe zu verhelfen.
Die türkischen und algerischen Medien haben das Buch gelobt, das algerische Ministerium für religiöse Angelegenheiten geht sogar so weit, die Frage nach einem Ankauf des Buches als Lehrmittel zu untersuchen. Am kritischsten klangen die Stimmen aus Kuwait, wo sich die stärkste Konzentration der Pro-Shi'a-Presse der arabischen Welt - außerhalb des Libanon - befindet. Aus dem Iran hat Youssef Seddik noch nichts gehört.
PS: Im Februar unterzeichnete die türkische Tageszeitung 'Milliyet‘ einen Vertrag mit Seddik. Sie wollte die ersten drei Bände von Si le Coran m'etait conte während des Ramadan in einer Beilage für Kinder publizieren, die Türkei wäre damit das erste islamische Land gewesen, das das Tabu bricht. Im letzten Moment jedoch zog auch 'Milliyet‘ dieses Vorhaben zurück.
Adel Darwish
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