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„Wir werden sowieso betrogen“

Westliche fliegende Händler auf dem Marktplatz in Halle verkaufen zu Ost- und West-Mark / Wucherer und Kursdrücker / Ost-Mark wandern auf ein Konto mit ungewisser Zukunft / Ost-Mark verliert auch als Lohnwährung ihre Bedeutung: „Auf Ostmark würd ich mich nicht einlassen“ / Die Angst, den Anschluß beim Anschluß zu verpassen  ■  Von Katrin Schröder

„Das ist bei uns der letzte Schrei, ehrlich, Ihr müßt Euch da ein bißchen anpassen.“ Der Versuch, den Ladenhüter an die Ostfrau zu bringen, schlägt fehl. Auf dem Marktplatz der ehemals reichen Hansestadt Halle, inzwischen stinkendes Chemiezentrum der DDR, tummeln sich seit Ende Januar die fliegenden Händler aus allen Teilen der bundesrepublikanischen Republik. Aus Pinneberg, Gütersloh und München kommen sie gefahren, um dem Platz seine Bedeutung wiederzugeben: Markt ist das Wort der Stunde.

„Wir möchten natürlich lieber Westgeld, das können wir besser ausführen“, so der Händler aus dem Ruhrgebiet, der die Nylonstrumpfhose „50 Prozent reduziert“ für zwei Mark West oder sechs Mark Ost feilbietet. „Die gehen weg wie nichts.“ Der Kurs auf dem freien Markt also 1:3? So kalkuliert auch der junge Boutiquebesitzer aus Heidelberg, mit seinem Benz das erste Mal in Halle, um den Markt zu testen. Er berät die Kundinnen in Qualität und Größe. „Schwarze Jeans wolle die Leut.“ Ein Blick über den Platz zeigt: die Ostjeans ist blau. Ihr westliches Marken-Pendant kostet hier zwischen 180 und 250 Mark Ost. Bei einem durchschnittlichen DDR-Verdienst also eine richtige Investition ins Image: let's buy west.

Die von den westlichen Geschäftemachern umgesetzten Mark der DDR müssen auf ein Konto bei der Staatsbank eingezahlt werden und dort bis zum „Tag X“, der kommenden Währungsunion, verweilen. Ungewiß ist der Kontostand nach der Währungsreform. Für alle Beteiligten - außer für die Konsumenten - ist der Verkauf in DM lukrativer. Der Händler kann den DM-Umsatz bis auf die Hälfte des Gewinns ausführen. Die andere Hälfte teilen sich Staat und Kommune in der DDR. Nach Auskunft des Finanzministeriums werden 25 Prozent der Gewinne in DM „dem zentralen Valuta-Plan der DDR zugeführt“, landen also im Staatshaushalt, und 25 Prozent gehen in den örtlichen Haushalt ein. Zusätzlich kassiert der Stadtbezirk Halle eine Standgebühr in harter Währung. Für die zollfreie Einfuhr und den Verkauf der Westwaren müssen örtliche Organe die Genehmigung erteilen, die „ambulanten Händler“ erhalten sie ohne weiteres. Nur der Uhrenhändler aus Hannover war darüber offensichtlich nicht informiert. Er muß seine Ware, die zu stolzen Preisen zeigt, was im Westen die Stunde geschlagen hat, nach einer Kontrolle wieder zusammenpacken.

Der Kurs schwankt

1:1, diese in der DDR populäre Forderung wird vom Stand, der weit sichtbar für seine „westdeutschen Presseerzeugnisse“ wirbt, erfüllt. Abgedeckt wird das gesamte Spektrum zwischen 'Bunte‘ und 'Hör Zu‘. Der Verkauf ist mit einer Verlosung und mit Knebelabonnements verbunden, von denen die unerfahrenen DDR-BürgerInnen noch lange etwas haben werden. Die Ostler, die an diesem Stand arbeiten, haben es geschafft. Sie fahren BMW, tragen Disco-Look und überreichen mit dem Lächeln eines erfolgreichen Geschäftsmannes kleinen Kindern Zweipfennigslutscher.

Beim Badischen Wein gilt ein Kurs von 1:2. Hier strebt man „ein reelles Geschäft“ an und kooperiert mit einer neugegründeten DDR-GmbH. Eine solche Form der Kooperation zwischen bundesrepublikanischen und demokratischrepublikanischen Gewerbebetrieben läuft über einen Vertrag, der die Gewinnaufteilung regelt. Der Westpartner liefert, der östliche verkauft. Diese Form der Zusammenarbeit ist die zweite Lücke im staatlichen Außenhandelsmonopol, die im Februar per Ministerratsbeschluß aufgetan wurde, um kurzfristig das Angebot an Waren in der DDR zu verbessern. Seit Januar gibt es Genehmigungen zum Verkauf von Westwaren in Devisen. DDR-Händler ohne Partner im Westen sind weiterhin auf die staatlich organisierten Importe und den staatlichen Großhandel angewiesen. Ein Preisvergleich im Einkauf ist ihnen nicht möglich, und die Handelsspanne ist gesetzlich auf 20 Prozent beschränkt.

Der Verkauf zum Kurs von 1:2 rechne sich für die Badischen Weingenossenschaften, man habe zuverlässige Informationen, daß es schlechter als 1:2 bei der Währungsunion nicht kommen werde. „Und schließlich muß man bei jedem Geschäft ein Risiko eingehen“, heißt es am Wein-Stand. Das klassische Unternehmerherz schlägt wieder höher, wenn es darum geht, neue Märkte zu erobern und Produkte zu plazieren. „Eine Frechheit“ dagegen, so der Weingenosse, „ist es, wie die Aasgeier hier ankommen und die Bürger über den Tisch ziehen.“ Gemeint sind die Händler, die ihre Waren vom Kaugummi über den Walkman bis zur Konfektion zum Kurs von 1:4 anbieten. Gewiß gibt es in unsicheren Zeiten immer unterschiedliche Erwartungen der Spekulanten, aber hier geht es um etwas anderes.

An den Ständen, an denen mit 1:4 gehandelt wird, ist man sauer über die Preisdrückerei. Konkurrenz verdirbt eben doch das Geschäft. Die als Wucherer Beschimpften argumentieren abenteuerlich. „Wir legen bei jeder Mark noch 30 Pfennige drauf, denn wir tauschen im Westen 1:4,3“ (Stand Mitte April). Damit verrät der Händler allerdings ein glattes Valuta-Vergehen, denn die Ostmark müßte eigentlich im Land bleiben und aufs Konto gehen. Beschwichtigend meint der Schnickschnack-Verkäufer zwar: „Profit machen wir bestimmt nicht.“ Doch nicht nur die Frage, aus welchen Gründen er sonst hier feilbiete, spricht dagegen, auch die nicht gerade bescheidenen Aufschläge auf die unverbindlichen Preisempfehlungen des schlecht sortierten Gemischtwarenangebots. Es wird abgezockt, was der Markt hergibt. Vor allem in der schlechter versorgten Provinz läuft das kleine Schnäppchen des kleinen Westkaufmannes, der mit der Attitüde des wohlwollenden Gebers - hier bringe ich Euch die frohen Botschaften des freien Marktes mit all seinen wunderbaren Leckereien - sein kleines Konto ein wenig aufbessern möchte.

Markt und Preis

Die so lange vom wahren Genuß ausgeschlossenen Brüder und Schwestern zahlen. Seit Ende Januar schon läuft der Markt. Anfangs wurde regelrecht geramscht, inzwischen kauft man und frau mit mehr Bedacht, sie kennen die Preise im Westen. Die Reaktionen der nun endlich souveränen Konsumenten schwanken. „Es ist schon deprimierend, wenn man sieht, daß die hier 1:4 tauschen“, befindet das ältere Ehepaar aus Köthen, einer Kleinstadt nördlich von Halle. Sie sind nicht wegen des Marktes gekommen und können sich hier sowie nichts kaufen. „Das ist für uns zu teuer.“ Die Rentnerin mit ihren 380 Mark Ost monatlich wirkt ebenfalls entmutigt. „Ich guck's mir an und gehe vorbei. Wir werden sowieso betrogen.“ Ihre Souveränität besteht darin, die Nachfrage auf Null zu senken, der marktwirtschaftliche Konsument ist eben Mengenanpasser.

Ostmark am Ende

Die Studenten aus Leipzig und der Trainer aus Halle lassen sich vom Gebaren der Kaufleute nicht verschrecken. „Das lief doch früher auch schon, der Schwarzmarkt war immer so 1:4, 1:5“, die Dose Ananas, die Waschmaschine oder den schnellen Handwerker habe es auch nur gegen DM oder Schmiergelder gegeben. „Es ist belebend“, der Marktplatz sei früher tot gewesen, aber „hier kauft man doch nicht“.

Am Stand des Hamburger Kaffeeverkäufers hat die Mark der DDR auch ihre Funktion als Lohnwährung bereits abgegeben. „Selbständige(r) Mitarbeiter(in) gesucht, guter Verdienst in DM“, wird dort annonciert. Sie würde sich auch gar nicht mehr auf die Ostmark einlassen, pflichtet ihm die Bewerberin aus Halle bei, die für die Lagerung des Kaffees gute Möglichkeiten in ihrer Drei-Raum-Wohnung sieht. Der gute DM -Verdienst ist zwar an die verkauften Stückzahlen gebunden, stellt die geltenden DDR-Löhne jedoch weit in den Schatten.

Die Einstellungsverhandlung verläuft hektisch. Die Angst, zu kurz zu kommen, nicht schnell genug dabei zu sein, den Anschluß beim Anschluß zu verpassen, treibt zu eiligen Handlungen und Entschlüssen. Die DDR-BürgerInnen suchen Kooperationen, die BRD-Bürger planen Filialen. Vereinigt sich das Know-how made in West Germany mit den freigesetzten Arbeitskräften aus den VEBs? Im Osten überwiegt die Unsicherheit, was kommt nach der Währungsunion? Die Sparguthaben sind nicht versichert und die neuen Löhne noch nicht ausgehandelt. Mißtrauen herrscht gegen die Politiker und Pfarrer. Bei westlichen Standinhabern ist die Weitsicht von Optimismus geprägt. Bisher können DDR-Bürger legal 100 Mark Ost zum Kurs von 1:1 und weitere 100 Mark im Verhältnis von 1:2 tauschen. Das ist nicht viel, aber „die sitzen doch alle in den Startlöchern. Vermutlich geht nach der Währungsreform erst mal wenig, aber wenn die dann mal mehr verdienen...“

Georg Friedrich Händel blickt seit über hundert Jahren gelassen über den Marktplatz seiner Geburtsstadt Halle. Heute lauscht er George Harrissons Oh my Lord. Westliche Warenrepräsentation in Bild, Ton und Währung.

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