Ein Ruf geht um die Welt

■ Vor hundert Jahren rief die Zweite Internationale in Paris zu Demonstrationen am 1. Mai auf

Paul Lafargue hatte bereits das „Recht auf Faulheit“ proklamiert. Sein Schwiegervater, der deutsche Philopsoph Karl Marx, der über die Arbeit ganze Bände geschrieben hatte, lag schon unter der Erde, da erging am 20. Juli 1889 aus Paris ein Ruf um die Welt. „Es ist für einen bestimmten Zeitpunkt eine große internationale Manifestation zu organisieren, und zwar dergestalt, daß gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen.“ Die über 400 Delegierten aus 22 Ländern, die in der französischen Metropole zusammengekommen waren, um die Zweite Internationale der Sozialistischen Bewegung zu gründen, einigten sich auf den 1. Mai. An diesem Tag waren in den USA 1867 die Arbeiter für dieselbe Forderung auf die Straße gegangen. Als am 1. Mai 1886 Chicagos Proletarier noch immer die alte Forderung nach einem Achtstundengtag vortrugen, schleuderte ein Unbekannter eine Bombe gegen die Polizei. Mehrere Menschen wurden getötet und verletzt. Noch im November desselben Jahres wurden vier angebliche Rädelsführer nach einem skandalösen Prozeß hingerichtet. Als am 1. Mai 1890 - heute vor 100 Jahren - Millionen von Arbeitern weltweit auf die Straße gingen, wurde überall auch der „Märtyrer von Chicago“ gedacht.

Schon früh tauchten am „Tag der Arbeit“ auch direkte politische Forderungen auf. So demonstrierten etwa Schwedens Arbeiter bereits 1891 gegen die 800-Kronen-Grenze, die der Mehrheit der schwedischen Bürger, die weniger als 800 Kronen im Jahr verdiente, das Wahlrecht absprach. Wie brüchig die internationale Solidarität der Arbeiterbewegung allerdings war, zeigte sich beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Fast überall siegten Nationalismus und Chauvinismus über die hehren Grundsätze der Völkerverständigung. In Italien hingegen mobilisierten Gewerkschaft und Sozialistische Partei noch 1915 - allerdings vergeblich - gegen einen Kriegseintritt. 1916 wurden im ganzen Land die Kundgebungen zum „Tag der Arbeit“ verboten. Später ersetzte der Ex -Sozialist Mussolini den 1. Mai durch den 21. April, den „Natale di Roma“, die Geburt Roms. Demonstriert wurde am 1. Mai trotzdem. Hitler war geschickter: Er wertete den 1. Mai zum arbeitsfreien „Feiertag der nationalen Arbeit“ auf.

Weltweit versuchten ein Jahrhundert lang Diktaturen, Demonstrationen am 1. Mai zu verhindern oder den gefährlichen Tag umzuwerten - mit mehr oder weniger Erfolg. Auch für Demokratien ist der „Tag der Arbeit“ immer wieder ein polizeiliches Problem. Nur die liberalen Niederländer kennen solcherlei Sorgen nicht. Statt am 1. Mai feiern sie schon am 30. April - den Geburtstag ihrer „Königin“, der heutigen Prinzessin Juliane. Deren Tochter Beatrix, seit dem 30.4.1980 Königin, wurde übrigens an einem 31. Januar geboren. Doch auf die Straße gehen Hollands Arbeiter weiterhin am letzten Apriltag.

thos