: Börsen-Bauern-Regeln
■ McCASH FLOWS ORAKEL
Mit den Börsen-Sprüchen ist es wie mit den Bauernregeln: sie treffen häufig zu, aber genauso oft ist auch das Gegenteil richtig. Daß beispielsweise der Monat Mai für das Aktien -Klima nicht gerade einen Wonnemonat darstellt, sondern eher einen Hang zum Verkaufen und allgemeinem Börsen-Absentismus auslöst hat sich in der Wall-Street-Regel „Sell in May an go away“ niedergeschlagen. Angesichts der milden Frühlingsstimmung draußen wollen die Anleger offenbar mit dem hektischen Wechselbad der Kurse und ängstlichem Starren auf den Index für eine Weile nichts zu tun haben. Für den Mai 1990 liegen die Chancen, daß sich am Ende die alte Börsenregel wieder mal bewahrheitet nicht schlecht: rund um den Erdball von Tokio über New York, London und Frankfurt, ist die Stimmung an den Aktienmärkten trüb, das Gespenst weiter steigender Zinsen geht nicht nur in Europa um. Und solange die ohnehin schon satten Renditen auf festverzinsliche Anlagen noch fetter werden, geraten Aktien als Anlage-Alternative immer mehr aus dem Blickpunkt. Es ist also in diesem Jahr nicht nur das schöne Mai-Wetter, sondern auch das überhöhte Zinsniveau verantwortlich, wenn die Wall -Street-Landwirte Ende des Monats nur einen Trost parat haben: daß ihre alten Milchmädchen-Regeln doch immer noch ins Schwarze treffen. Wie es aber derart Hundertjährige Kalender an sich haben: irgendwie haut es alles nur ungefähr hin, und so war es denn in diesem Jahr auch schon der April, der zum allgemeinen Verkaufsmonat geriet: in Japan, wo man den 87er Maxi- und den 89er Mini-Crash quasi übergangen hatte, holte die Börse offenbar alles nach, der Nikkei-Index fiel tiefer und tiefer. Auch die Barometer in New York und London fielen und in Frankfurt kehrte, nach einem Vierteljahr „Ost-Phantasie“ die große „Währungs-Depression“ ein. Mehr als die guten Aussichten der expansionslüsternen BRD-Konzerne schlugen plötzlich die Unsicherheiten der Wirtschafts-und Währungsunion zu Buche: die Gefahr von Preisauftrieb, Inflation, höherer Zinsen und Konjunktureinbruch. Noch steht keines dieser Schreckgespenster direkt vor der Tür, doch an der Börse zählt bekanntlich die Erwartung eines Ereignisses, die Spekulation nimmt sein Eintreten vorweg: die deutsch -deutsche Unübersichtlichkeit sorgte deshalb schon im April für sinkende Kurse, obwohl das Ereignis frühestens nach dem 2. Juli zu erwarten ist. Wenn überhaupt. McCash Flow empfiehlt angesichts dieser Unwägbarkeiten einen sofortigen Spazier-Gang ins Grüne, denn auf eine Regel ist immer Verlaß: Scheint die Sonne im Mai, ist der April vorbei.
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